Thomas Berlin: Jens, du bist u.a. Buchautor zu Themen der Fotoszene und Kurator. Über die Tätigkeit des Kuratierens und die Gestaltung von Kunstausstellungen wollen wir sprechen. Dabei soll die Fotografie im Mittelpunkt stehen. Bevor wir zu deinen eigenen Erfahrungen kommen, würde ich gern ganz allgemein beginnen: Was ist eigentlich ein Kurator?
Jens Pepper: Im ursprünglichen Sinne ist ein Kurator ein Mensch, der sich innerhalb einer Institution, beispielsweise eines Museums, mit der Pflege, dem Bewahren und Katalogisieren, dem Erforschen einer Sammlung beschäftigt. Ein weiterer Teil seiner Tätigkeit ist das Ausstellen von Teilen dieser Sammlung oder der Sammlung in Gänze, innerhalb der Institution oder auch außerhalb. Wenn wir jetzt meine Tätigkeit als Grundlage für das Gespräch nehmen, so dreht es sich hierbei um das freiberufliche Organisieren von Ausstellungen im Bereich der Fotografie für Institutionen oder Galerien. Ich bin nicht für eine Sammlung verantwortlich, sondern nur für die Exponate, die ich ausstelle, und zwar von der Anlieferung am Ausstellungsort bis zur Rückkehr zu den Leihgebern; das können Sammler und bewahrende Institutionen sein oder Fotografen und Fotografinnen. Und natürlich entwickel ich die Idee für eine Ausstellung, das Ausstellungskonzept, lade die Fotografen ein, kümmere mich um die Finanzierung, einen Katalog, die Pressearbeit, die Hängung der Exponate, begleitende Veranstaltungen, den Rücktransport etc. Wenn die Ausstellung einen größeren Umfang hat, arbeite ich allerdings nicht solo, sondern habe für viele der Teilbereiche ein Team, in der Regel freie und feste Mitarbeiter der Institution oder der Galerie für die ich tätig bin, Spezialisten in ihren jeweiligen Bereichen, Mitarbeiter, die bei der Beantragung von Fördergeldern behilflich sind, die die Ausstellung nach meinen Vorgaben hängen, jemanden, der eine professionelle Pressearbeit macht, Mitarbeiter, die die Ausstellung während der Öffnungszeiten bewachen und die Besucher betreuen usw. Und in der aktuell von mir kuratierten Ausstellung, „Ausnahmezustand. Polnische Fotokunst heute“ für das ZAK – Zentrum für Aktuelle Kunst in der Zitadelle Spandau zu Berlin, habe ich, nachdem ich von dem dortigen Leiter eingeladen wurde die Ausstellung zu machen, eine Co-Kuratorin eingeladen, dieses Projekt gemeinsam mit mir zu stemmen. Ohne Grazyna Siedlecka wäre die Ausstellung sicherlich nicht so gut geworden. Die Zusammenarbeit war ganz wichtig für ihren Erfolg.
Thomas Berlin: Kannst du die Kuratorentätigkeit in einzelne Phasen unterteilen?
Jens Pepper: Idee, grundlegende Planung, Gespräche mit Fotografen und Leihgebern, u. U. Suche des Ausstellungsorts – wenn er nicht von Vornherein feststeht, wie im gerade genannten Fall, Werkauswahl, Planung der Hängung/Präsentation, Organisation der Transporte zum Ausstellungsort, Pressearbeit, Katalogproduktion, Planung der Vernissage und von Veranstaltungen, Einladen der beteiligten Künstler inklusive Buchung von Unterkünften, Ausstellungsaufbau, Durchführung von Pressekonferenz und Vernissage, Durchführung von Veranstaltungen, Abbau der Ausstellung, Rücktransport der Exponate, Schlussabrechnung, abschließendes Resümee. So in etwa. Bei kleinen Ausstellungsprojekten ist das natürlich alles überschaubarer und weniger aufwendig, aber das Prinzip ist das Gleiche.
Thomas Berlin: Angestellte oder freiberufliche Kuratoren arbeiten für Galerien, Kulturinstitution oder private Sammlungen. Gibt es darüber hinaus noch weitere Auftraggeber und welche Auftraggeber dominieren?
Jens Pepper: Stiftungen zum Beispiel. Ein Kurator kann auch völlig frei von Galerien, Museen und Institutionen agieren. Es muss auch nicht immer einen Auftraggeber geben. Es gibt völlig freie Projekte, wo das volle Risiko – auch das finanzielle - beim Organisator liegt und u.U. bei den beteiligten Künstlern.
Thomas Berlin: Was sind die üblichen Freiheiten und Sachzwänge?
Jens Pepper: Als freie Kurator bin ich so frei wie es nur geht. Sachzwang? Na, Geld ist mit Sicherheit entscheidend für die Realisierung der allermeisten Projekte. Im Kunstbetrieb gibt es zwar viel Selbstausbeutung, aber so ganz ohne Geld gäbe es fast keine Ausstellungen.
Thomas Berlin: Wie lernt man das Kuratieren? Gibt es z.B. formale Bildungswege?
Jens Pepper: Es gibt curatorial studies, aber noch nicht allzu lange. Wissenschaftliche Mitarbeiter an Museen lernen das kuratieren vor Ort durch ihren Arbeitgeber. Jeder, der in einer Galerie tätig ist, ist regelmäßig mit der Planung und Durchführung von Ausstellung befasst. Ich selber habe alles durch learning by doing gelernt.
Thomas Berlin: Du selbst bist ja über deine Tätigkeit im Kunstbetrieb zum Kuratieren gekommen. Kannst du bitte skizzieren, wie das bei dir war?
Jens Pepper: Ich habe 1988 begonnen für eine Berliner Off-Galerie tätig zu sein, unentgeltlich, da habe ich meine ersten Erfahrungen mit dem Organisieren von Ausstellungen gesammelt. Daraufhin folgten eigene Galerien bzw. Projekträume, Tätigkeiten für Galerien, selbst kuratierte freie Ausstellungen – in der Regel gemeinsam mit den ausgestellten Künstlern. Nach einer langen Pause in Sachen Ausstellungsorganisation war die Einladung durch das ZAK, die o.g. Ausstellung zu machen, ein Neueinstieg. Und es war auch gleich die größte Ausstellung, die ich bisher kuratiert habe. Grazyna und ich haben 27 polnische Fotografen und Fotografinnen eingeladen an ihr teilzunehmen. Und wir haben 1200 Quadratmeter Ausstellungsfläche zur Verfügung gehabt.
Thomas Berlin: Wer entscheidet bei solch einer großen Ausstellung die Inhalte, die ja auch politisch sein können. Gibt es da Vorgaben oder laufende Abstimmungen, z.B. um Rücksicht auf Ausstellungsinstitution oder Sponsoren zu nehmen?
Jens Pepper: Ich spreche jetzt mal nur von mir. Wenn ich etwas kuratiere, dann entscheide ich alleine, bzw. ich und meine Mitkuratorin, wie in der aktuellen Ausstellung, was das Thema ist und was ausgestellt wird. Abstimmungen mit Institutionen gibt es inhaltlich keine. Wir haben das Konzept erstellt und es der Institution vorgeschlagen, in diesem Fall dem Zak. Und als wir das OK hatten, also eingeladen wurden, das Konzept zu einer realen Schau zu machen, dann haben wir die Ausstellung inhaltlich konkretisiert und die Künstler und Künstlerinnen eingeladen mitzumachen. Inhaltliche Rücksichtnahme auf eine Institution oder gar auf Sponsoren käme für mich überhaupt nicht in Frage. Das wäre Selbstzensur, die einem Projekt immer abträglich ist. In unserer Ausstellung über polnische Fotografie haben wir beispielsweise von vornherein darauf verzichtet, in Polen nach Sponsoren zu suchen. Das wären in Polen automatisch staatliche Institutionen gewesen, wie das Instytut Adama Mickiewicza – vergleichbar mit unserem Goethe Institut. Das ist seit der Übernahme der Regierung durch die rechtsnationale PiS derart unterwandert und auf Parteilinie gebracht worden, dass wir mit unserer Künstlerauswahl sowieso keine Chance auf Förderung gehabt hätten bzw. ständigen Einflussnahmeversuchen ausgesetzt gewesen wären. Beispielsweise der von uns mit Bildern seiner Serie Strajk ausgestellte Dokumentarfotograf und Fotokünstler Rafal Milach, Mitglied der Fotografenagentur MAGNUM, der in der Serie die Proteste gegen die Quasi-Abschaffung des Abtreibungsrechts in seinem Heimatland dokumentiert, steht eindeutig – zumindest mit diesen Fotos – auf einer schwarzen Liste. Staatliche Repräsentanten Polens haben sich in der Vergangenheit nicht gescheut auch im Ausland Organisatoren aufzufordern, diese Bilder von Milach nicht zu zeigen, um das Ansehen Polens nicht zu schaden. Glücklicherweise wurde diesen Idioten die Tür gezeigt, aber Du siehst, der polnische Staat versucht kritische Künstler auch im Ausland in ihrer Arbeit zu behindern bzw. zu diskreditieren. So etwas wollten wir von vornherein vermeiden. Unsere Ausstellung mit polnischer Fotokunst wurde mit 65.000 € durch den Hauptstadtkulturfonds aus Deutschland unterstützt. Dieser Zuschuss hat dann gerade so ausgereicht, um unser Konzept umzusetzen, inklusive ausführlichen Katalog in Deutsch, Englisch und Polnisch.
Thomas Berlin: Gehen wir mal davon aus, ein teilnehmender Künstler steht fest. Er oder sie zeigt dir ein riesiges Konvolut seiner Arbeiten, die thematisch zum Ausstellungsprojekt passen, Wie kann ich mir die Bildauswahl vorstellen, wenn du daraus einige wenige Bilder auswählen musst. Wie gehst du vor und gibt es generelle Kriterien?
Jens Pepper: Na ja, so läuft das nicht wirklich. Als Grazyna und ich unsere Künstlerliste beisammen hatten und auch wussten, dass sie mitmachen, da wussten wir in der Regel auch bereits, welche Arbeiten wir haben wollten. Von Zuza Krajewska beispielsweise kannte ich ihre Serie ‚IMAGO‘ über straffällig gewordene Jugendliche. Ich hatte sie 2016 beim Warsaw Gallery Weekend gesehen. Die wollte ich unbedingt in der Ausstellung dabei haben. Von Aneta Grzeszykowska wollte ich Bilder aus ihrer Serie ‚Selfies‘ haben, die mich 2015 in einer Ausstellung in der Raster Galerie in Warschau begeistert hatten. Von Pawel Jaszczuk war klar, dass es Werke aus der Serie ‚¥€$U$‘ sein müssen und bei Dominik Tarabanski Bilder aus der Serie ‚Roses for Mother‘. Lediglich bei einigen Teilnehmern wollten wir ein dreiviertel Jahr vor Ausstellungsbeginn noch ganz frische Arbeiten sehen, die bei der Planung noch in Produktion waren und die uns generell interessiert hatten. Von Filip Berendt und Michal Siarek sind Arbeiten in der Ausstellung, die es Anfang 2022 noch nicht gab.
Thomas Berlin: Wie geht es mit der Hängung der Bilder weiter? Worauf kommt es dabei an?
Jens Pepper: Alle Arbeiten müssen so optimal wie möglich präsentiert werden, damit sie eine Wirkung entfalten. Und in einer Gruppenausstellung müssen zudem alle Werkgruppen perfekt miteinander auskommen. Es darf nicht sein, dass beispielsweise eine expressive Werkgruppe eine meditativere in den Schatten stellt. Als Kuratoren haben wir die Aufgabe, allen Werken die bestmögliche Wirkung zu verschaffen, auch im Zusammenspiel mit all den anderen Arbeiten, die in einer Ausstellung dabei sind. Das planen wir bereits vorab, wenn wir die Motive, die Werke ausgewählt haben. Wir überlegen uns, was miteinander funktioniert. Und wie ein Rundgang durch die Räume aussehen könnte. Gerade in Gruppenausstellungen muss es eine Art von Choreografie geben, so dass der Gang von Raum zu Raum spannend ist. Grazyna und ich sind beide sehr visuelle Menschen und zudem erfahren im Organisieren von Ausstellungen, so dass wir uns relativ schnell einig waren, was wie und wo hängen sollte. Als dann alle Arbeiten im Museum angeliefert waren, gab es nur wenige künstlerische Positionen, die wir während der Hängung getauscht haben, weil wir gemerkt hatten, dass die Werke doch nicht so gut miteinander funktionierten, wie wir uns das bei der Planung vorgestellt hatten. Bei drei Werkgruppen haben wir zudem die Wände farbig gestaltet, was einerseits den Arbeiten zugutekommt und andererseits der gesamten Ausstellung einen gewissen Pfiff verleiht. Das hatten wir aber schon vor dem Ausstellungsaufbau so beschlossen und mit den Künstlern abgesprochen. Wie gesagt, alle Exponate, alle Räume müssen als Ganzes funktionieren. Und dann muss natürlich jedes Werkkonvolut in sich schlüssig gehängt werden. Einfach alles nur in eine Reihe zu hängen wäre schrecklich langweilig, passt auch nicht zu allen Arbeiten.
Thomas Berlin: In eurer Ausstellung „Ausnahmezustand“ werden die Werke in verschiedenen Formaten und Präsentationsformen gezeigt. Gerahmt, mit und ohne Passepartout, ohne Rahmen, einmal sogar im Zeitungsformat. Gibt es bei Darstellungsformen einen Trend oder Möglichkeiten, die bei den Rezipienten besonders gut ankommen?
Jens Pepper: Nein, jeder Künstler, jede Künstlerin wählt die Präsentationsform so, dass sie zur Idee, zum Werk passt. Es gibt nichts, was im Trend liegt und nichts, was bei Rezipienten besonders gut ankommt. Kunst lässt sich auch nicht uniform gestalten. Es sind ja auch keine Auftragsarbeiten, wo es bestimmte Prämissen einzuhalten gilt.
Thomas Berlin: Was macht für dich das Erleben einer Ausstellung, d.h. die physische Präsenz der Fotografien, attraktiv? Du könntest ja auch einen Onlinekatalog ansehen. Und um gleich eine Frage anzuschließen: Werden physische Ausstellungen eine steigende oder sinkende Bedeutung für die Fotografie haben?
Jens Pepper: Nichts wird jemals das Original ablösen. Ich habe noch nie ein Foto gesehen, dass online besser wirkt als ein Print. Für mich stellen sich diese Fragen nicht. Die Bedeutung physischer Ausstellungen wird nicht abnehmen. Ich spreche jetzt nicht von NFTs und dem Metaverse. Wer darauf scharf ist, soll es tun. Ich bevorzuge das reale Leben.
Thomas Berlin: Manche Fotografen oder andere Künstler streben früh eine eigene Ausstellung an. Andere dagegen möchten z.B. erst einen eigenen Stil festigen oder ein wertigeres Portfolio erarbeiten. Vielleicht wäre aber auch ein frühzeitiges Feedback aus einer Ausstellung hilfreich. Was ist ein guter Zeitpunkt für eine Ausstellung und welche Chancen und Risiken - neben den ökonomischen Aspekten - ergeben sich für den Künstler?
Jens Pepper: Dass Fotografen und Künstler ihre Arbeiten zeigen möchten, ist ja normal. Ich denke, dass die Allermeisten nicht für die Schublade oder den Lagerraum produzieren. Die Sorge nach der Festigung eines eigenen Stils vor einer ersten öffentlichen Präsentation treibt hier wohl die Wenigsten um. Kunst ist ja auch Kommunikation. Selbstgespräche werden hier höchstens im Verlauf des Herstellungsprozesses oder während der Ideenfindung geführt. Wie gesagt, Ausnahmen gibt es immer. Wer jung ist und am Anfang seiner Karriere steht – oder die Kunst und das Fotografieren eher als Hobby betreibt, wird kaum nach einer institutionellen oder musealen Ausstellung streben. Das sind Orte, die in der Regel erst angestrebt werden, wenn – wie Du es nennst – der Stil gefestigt ist. Ebenso verhält es sich mit kommerziellen Galerien. Neulinge haben hier eher keine Chance, es sei denn, sie sind ungewöhnlich gut und originell. In unserer schon erwähnten aktuellen Ausstellung haben wir eine junge Künstlerin, die von Beginn ihrer Karriere an wirklich außergewöhnlich ist. Ich habe 2017 die erste größere öffentliche Präsentation der damals 19jährigen Karolina Wojtas beim Krakow Photomonth gesehen und war damals ziemlich überrascht. Das, was sie da gezeigt hatte, und wie sie ihre fotografische Arbeit präsentiert hat, war sehr außergewöhnlich. Ich war nicht gleich ein Fan davon, aber es ist eine der wenigen Präsentationen des gesamten Fotofestivals, die mir in Erinnerung geblieben ist. Ich habe ihre Arbeiten dann weiterhin aus der Distanz verfolgt und als es darum ging, die Künstler und Künstlerinnen für unserer Ausstellung auszusuchen, haben wir Karolina sehr früh in Betracht gezogen. Ihre dann weiterhin spannenden Arbeiten und Ausstellungen haben uns dann bestätigt, dass wir sie unbedingt dabeihaben wollten. Jetzt ist sie 25 und hat schon eine Einzelpräsentation bei FOAM in Amsterdam und im Instytut Fotografii Fort in Warschau gehabt. Anfang 2023 wird sie bei C/O Berlin eine Einzelausstellung haben und vertreten wird sie von der in Oslo beheimateten Galerie Vasli Souza. Aus Berlin hat mich eine der ganz großen Galerien kontaktiert, ob ich einen Kontakt zu Karolina herstellen könne. Sie ist also schon in sehr jungen Jahren im gehobenen Ausstellungsbetrieb angekommen. Aber das passiert nur wenigen; in der Regel denjenigen, die wirklich Neues und Außergewöhnliches schaffen. Und wir beide wissen, dass das etwas ist, wozu nur wenige in der Lage sind.
Thomas Berlin: Kann ein Kurator, oder eine andere fachkundige Person, dem Künstler bei seiner Ausstellung helfen? Und geschieht das in der Praxis?
Jens Pepper: Na ja, dass ein Künstler bzw. eine Künstlerin zu einer Ausstellung eingeladen wird, ist ja schon etwas Positives. Und natürlich unterstützen Kuratoren und ihre Teams die Künstler, wenn es Dinge gibt, die unklar oder alleine nicht immer leicht zu erledigen sind, beispielsweise Zollangelegenheiten. Wenn Du auf Galerieausstellungen abzielst, dann besprechen Galerist und Künstler natürlich gemeinsam die geplante Ausstellung. Und wenn Du von ganz jungen Künstlern spricht, vielleicht noch studierende, dann wird sich untereinander intensiv ausgetauscht und die Professoren unterstützen, zum Beispiel bei einer Uni-Ausstellung, einer Pop-Up-Show oder einer Präsentation in einem artist-run-space.
Thomas Berlin: Kommen wir noch mal zu deiner derzeitigen Ausstellung „Ausnahmezustand“, selbst wenn das vielleicht wegen der Größe des Projekts ein besonderes Beispiel ist. Du sagtest vorhin, dass du als Kurator so frei bist, wie es nur geht. Was ist mit den Interessen der Künstler, die vielleicht andere Vorstellungen haben? Gibt es da inhaltliche Auseinandersetzungen oder wie kann ich mir den Abstimmungsprozess vorstellen?
Jens Pepper: Inhaltliche Auseinandersetzungen gab es nicht. Grazyna und ich haben das Konzept erstellt und dementsprechend Fotokünstler- und künstlerinnen eingeladen. Wer da nicht mit dem Konzept einverstanden ist, nimmt nicht teil. In einer Gruppenausstellung mit 27 Beteiligten gibt es natürlich viele Interessen zu berücksichtigen, beispielsweise Wünsche bei der Hängung. Wir bemühen uns, Wünsche und Befindlichkeiten zu berücksichtigen. Das letzte Wort haben allerdings wir als Kuratoren. Sonst kann man so viele Beteiligte nicht unter einen Hut bringen. Anders sieht es bei einer monografischen Ausstellung aus. Die wird in der Regel mit dem Künstler, der Künstlerin - soweit die Person noch lebt - gemeinsam erarbeitet.
Thomas Berlin: Kannst du bitte am Beispiel der aktuellen Ausstellung skizzieren, wie der Entstehungsprozess war und wie lang der Vorlauf dieser Ausstellung war?
Jens Pepper: Ich habe eingangs ja schon erwähnt, dass ich vom Leiter des ZAK eingeladen wurde, die Ausstellung zu kuratieren und ich dann meinerseits Grazyna Siedlecka gefragt hatte, ob sie das gemeinsam mit mir machen wolle. Das war vor über drei Jahren. Durch Corona gab es dann eine Verschiebung, da die Institution ihr gesamtes Ausstellungsprogramm generell verschieben musste. Wir hatten da bereits unser Konzept erarbeitet und die Interessensbekundungen der Künstler in der Tasche. Erst 2021 haben wir dann – weil klar war, dass nun September 2022 als Vernissagetermin feststand – aktiv für finanzielle Unterstützung geworben. Als wir dann Ende 2021 die Zusage vom Hauptstadtkulturfonds über 65.000 € erhalten hatten, konnten wir alles konkretisieren. Ende Januar 2022 waren Grazyna und ich in Warschau und haben dort die meisten Künstler und Künstlerinnen persönlich getroffen, manche kamen extra nach Warschau, Irena Kalicka beispielsweise aus Krakow, Karolina Wojtas, die in Lodz lebt, kam gerade aus Amsterdam zurück. Mit anderen haben wir via Zoom gesprochen, so mit Dominik Tarabanski in New York und Zosia Prominska in Zürich. Wo möglich, haben wir die Ateliers und Studios besucht, um die von uns vorab ausgewählten Arbeiten im Original anzusehen, insbesondere wenn wir sie nur von Abbildungen her kannten, und um eventuell Neuproduktionen anzuschauen, wie bei Filip Berendt. Außerdem haben wir die Galeristen aufgesucht, von denen wir Leihgaben haben wollten, Raster Galerie, Jednostka Galerie, Gunia Nowik etc. Nach der Reise ging es dann daran, die gewünschten Leihgaben schriftlich zu fixieren, die Ausstellung en detail zu planen, die Pressearbeit zu beginnen und all die anderen Sachen, die gemacht werden müssen. Rund zwei Wochen vor Ausstellungsbeginn begann dann der Aufbau der Ausstellung. Zu diesem Zeitpunkt mussten alle Arbeiten angeliefert werden. Wir hatten drei Sammeltransporte aus Polen, weitere Arbeiten kamen aus Oslo, Zürich und Verona.
Thomas Berlin: Mich würde auch interessieren, welche Glücksmomente aber auch Abgründe sich bei der Vorbereitung der Ausstellung für dich als Kurator ergeben hatten.
Jens Pepper: Das alles zu organisieren, so etwas überhaupt machen zu können, macht mich schon glücklich. Abgründe gab es keine, aber Stressmomente. Beispielsweise steckte eine Arbeit zunächst im Zoll fest und wurde dann auch noch unglaublich spät von DHL ausgeliefert, tatsächlich erst im letzten Moment. Wenn unser Hängeteam am Tag vor der Ausstellungseröffnung nicht bereitwillig bis Mitternacht Überstunden gemacht hätte, wäre es problematisch geworden, denn wir hatten bereits neun Stunden später unsere Pressevorbesichtigung.
Thomas Berlin: Du hattest eingangs die kuratorische Tätigkeit beschrieben. Mit welchen der Tätigkeit ist in den nächsten Jahren zu rechnen, z.B, durch die fortschreitende Digitalisierung. Ich denke dabei z.B. an digitale Auftritte von Kunstsammlungen, wie z.B, beim Städel Museum bei uns in Frankfurt.
Jens Pepper: Die Tätigkeiten bleiben insgesamt dieselben – Pflege einer Sammlung, das Bewahren, Katalogisieren, Ausstellen, Präsentieren usw. Die Digitalisierung ist ein Hilfsmittel, das den leichteren Zugang zu weiten Teilen einer Sammlung ermöglicht. Institutionen wie das Städel können durch digitale Auftritte sicherlich mehr Menschen erreichen und womöglich in Depots versteckte Werke in die Öffentlichkeit bringen.
Thomas Berlin: Jens, vielen Dank für die interessanten Informationen aus dem „Maschinenraum“ des Kunstbetriebs. Möchtest du darüber hinaus noch etwas sagen?
Jens Pepper: Eigentlich nicht. Lediglich, dass wir Kuratoren uns über viele Besucher freuen und eine gute Presseberichterstattung. Beides hat bei ‚Ausnahmezustand‘ sehr gut funktioniert. Wir haben richtig viele Besucher und bisher – fünf Wochen vor Ausstellungsende, bereits über 20 Artikel und Rezensionen in Printmedien und online, u.a. eine Seite in der Photonews, 16 Seiten in der schweizer Modezeitschrift FACES, vier Seiten im Zoo Magazine aus Amsterdam, ausführliche Rezensionen bei Fotolot auf dem dem Onlineportal Perlentaucher und – ebenfalls online – im polnischen Kunstmagazin SZUM. Hinzu kommen das Berliner Stadtmagazin TIP, diverse Tageszeitungen in Deutschland, Portugal und – wirklich – Macao!, das Fotomagazin brennpunkt, die deutsche und die polnische Vogue, Museumsjournal, Sammlerjournal, und, und, und. In Camera Austria wird demnächst noch etwas erscheinen.
Thomas Berlin: Danke für das Gespräch!
Jens Pepper ist Autor, Interviewer und Kurator. Sein Interesse gilt der Erkundung nationaler Fotoszenen. Nach seiner Arbeit über zeitgenössische polnische Fotografie beschäftigt er sich aktuell mit südostasiatischer Fotografie sowie mit der Fotoszene in Paris. Seine Interviews erscheinen in Büchern, in Zeitschriften wie Photonews und brennpunkt, sowie auf dem YouTube-Kanal Pepper’s Photo Chat, den er gemeinsam mit dem Filmemacher Philip Dresmann betreibt. Darüber hinaus postet er auf Instagram über seine Begegnungen mit Künstlern.
Von Jens Pepper sind zuletzt folgende Bücher erschienen:
Gespräche über polnische Fotografie, KLAK Verlag, Berlin 2017, ISBN 978-3-943767-39-1
Pepper's Photo Chat – Alle brennpunkt-Interviews 2013-2018, edition dibue, Berlin 2019, ISBN 9783869316741
Fotoszene Berlin – 25 Interviews von Jens Pepper, KLAK Verlag, Berlin 2019, ISBN 978-3-948156-25-1
Ausnahmezustand. Polnische Fotokunst heute (gemeinsam mit Grażyna Siedlecka), Mitteldeutscher Verlag, Halle, 2022, ISBN 978-3-96311-733-6