Träume als Inspirationsquelle in der Fotografie?
Die französische Fotografin Liliroze sagte in unserem Interview, dass Träume eine ihrer wichtigsten Inspirationsquellen sind. Das war für mich Anlass, mich mit diesem Thema zu beschäftigen. Dabei wollte ich Träume als Inspirationsquelle für den Bildinhalt betrachten – und nicht nur als Impuls für einen „dreamy“ Bildlook.
Träume haben bereits eine bedeutende Rolle in der Kunst gespielt. Sie sind ein Tor zum Unbewussten, eine Welt, in der die Grenzen der Realität aufgehoben sind und sich surreale Bilder manifestieren. Für Fotografen und Maler bieten Träume eine nicht-dokumentarische Inspirationsquelle, um Emotionen, Visionen und Ideen auf visuelle Weise auszudrücken.
Die Psychoanalyse, insbesondere durch Sigmund Freud, beschreibt das Unbewusste als Reservoir für verdrängte Gedanken, Erinnerungen und Emotionen. Träume sind ein Schlüssel zu diesem verborgenen Bereich, da sie in verschlüsselten Bildern innere Konflikte, Wünsche und Ängste sichtbar machen. Der Autor Dr. Frank Berzbach (zum Interview mit ihm geht es hier) empfiehlt in diesem Zusammenhang Sigmund Freuds Buch "Die Traumdeutung", das er als ein Stück Weltliteratur bezeichnet.
Salvador Dalí machte Träume zum zentralen Element seiner Kunst. Mit seiner Malweise schuf er surreale Landschaften, in denen Uhren schmelzen, Körper sich verformen und die Gesetze der Logik außer Kraft gesetzt sind. Dass seine Werke oft schwer rational zu verstehen sind, liegt daran, dass Dalí bewusst das Unbewusste sichtbar machen wollte und sich dabei wohl seiner eigenen Traumbilder bediente.
Neben Salvador Dalí gibt es weitere bekannte Maler, die ihre Träume als direkte Inspirationsquelle nutzten, darunter sind Max Ernst, Henri Rousseau und Frida Kahlo.
Auch Fotografen profitieren von dieser Perspektive. Die Bilder, die in Träumen entstehen, sind oft von intensiver Symbolik durchzogen: schwebende Objekte, Spiegel, verschleierte Gestalten oder verzerrte Landschaften. Diese Elemente lassen sich gezielt in fotografischen Werken einsetzen, um eine tiefere emotionale Ebene zu schaffen und den Betrachter in eine Welt jenseits der gewohnten Wahrnehmung zu entführen. Oder einfach, um besondere Motive für künstlerische Arbeiten zu finden, die man auf rationalem Weg nicht gefunden hätte.
Ein abruptes Aufstehen kann Traumerinnerungen auslöschen. Durch einige Minuten des stillen Nachdenkens können Details oft wieder ins Bewusstsein geholt werden.
Die surrealistische Bewegung des 20. Jahrhunderts nutzte die Traumlogik auch in der Fotografie – einerseits, um die Grenzen der Realität infrage zu stellen, andererseits als Quelle der Inspiration. Einige Fotografen ließen sich dabei nicht nur von Träumen leiten, sondern erschufen außerhalb ibrer Träume entwickelte Bilder, die jedoch an Träume erinnerten. Zum Beispiel wurde der im Paris de letzten Jahrhunderts tätige Fotograf Man Ray für seine Rayographien bekannt – eine Technik, bei der Objekte direkt auf lichtempfindliches Papier gelegt und belichtet wurden. Diese Arbeiten, die ohne Kamera entstanden, wirkten oft wie aus einer Traumwelt entsprungen und erzeugten eine geheimnisvolle, fast surreale Atmosphäre.
Auch zeitgenössische Fotografen greifen bzw. griffen auf die Bildsprache der Träume zurück. Hier sind drei sehr unterschiedliche Beispiele:
Gregory Crewdson: Seine inszenierten Fotografien erzeugen eine melancholische, oft unheimliche Atmosphäre, die an eine Zwischenwelt zwischen Traum und Realität erinnert. Seine Szenen wirken oft wie Standbilder aus einem nicht existierenden Film oder Traum – düster, surreal und voller Andeutungen.
Erik Johansson: Nutzt digitale Bildbearbeitung, um unwirkliche Szenen zu erschaffen, die von Traumlogik inspiriert sind. Seine Arbeiten zeigen oft realistische Landschaften, die durch surreale Details verfremdet werden und so eine surreale oder traumhafte Wirkung erzeugen. Allerdings sieht er sich eher als Tagträumer und findet „die nächtlichen Träume oft ein bisschen zu verrückt, aber sicherlich können auch nächtliche Träume Teil der Inspiration sein“.
Francesca Woodman: Ihre Selbstporträts spielen mit der Idee der Vergänglichkeit und dem Verschwimmen der Identität, ähnlich wie in Träumen, in denen Personen und Orte sich verändern oder verschwinden. Ihre Arbeiten sind von einer tiefen Symbolik durchzogen und wirken oft wie Fragmente eines verlorenen Traums.
Ob Crewdson und Woodman explizit ihre eigenen Träume als direkte Inspirationsquelle nutzten, wie es beispielsweise bei Salvador Dalí der Fall war, ist nicht sicher belegt. Denn Träume müssen, wie bereits erwähnt, nicht unbedingt eine Inspirationsquelle für den Bildinhalt sein – vielmehr dient das Thema "Traum" manchmal nur als Inspiration für einen bestimmten träumerischen Bildlook.
Dr. Frank Berzbach (siehe oben) machte mich darauf aufmerksam, dass Paul McCartney manchen Akkord geträumt haben soll und schlug gleich den Bogen von der Musik zum Film: "Ich glaube, dass die Filme von David Lynch wie ein Traum funktionieren: Man kann ihn nicht nacherzählen, weiß aber, was man erlebt hat."
Um Träume als Inspirationsquelle im künstlerischen Prozess bewusst zu nutzen, ist es natürlich wichtig, sich an sie zu erinnern. Als ich mit Künstlern über Träume als direkte Inspirationsquelle sprach, kamen wir schnell auf ein Problem: Meist wir uns nicht an unsere Träume. Manche Menschen behaupten, „Ich habe im Schlaf keine Träume“, doch das ist nicht korrekt. Vielmehr erinnert sich unser Gehirn oft nicht an Träume, da es sie nicht als wichtige Erinnerungen speichert. Zudem können Faktoren wie Stress, Schlafmangel oder Alkohol die Traumerinnerung erschweren.
Die flüchtige Natur von Träumen macht es somit schwierig, ihre Inhalte festzuhalten, doch es gibt verschiedene Methoden, um die eigene Traumerinnerung zumindest etwas zu verbessern. Dazi gehören:
Führen eines Traumtagebuchs: Direkt nach dem Aufwachen können alle erinnerten Trauminhalte notiert werden, um eine Bewusstwerdung und spätere Reflexion zu ermöglichen.
Bewusstes Liegenbleiben nach dem Aufwachen: Ein abruptes Aufstehen kann Traumerinnerungen auslöschen. Durch einige Minuten des stillen Nachdenkens können flüchtige Details oft wieder ins Bewusstsein geholt werden.
Klarträume (luzide Träume): Hierbei ist sich die träumende Person bewusst, dass sie träumt, und kann den Traum aktiv steuern. Luzides Träumen kann trainiert und gezielt zur künstlerischen Inspiration genutzt werden.
Achtsamkeit und ein geschärftes Bewusstsein für das Unbewusste hilft, sich Träume besser einzuprägen und diese kreativ zu nutzen.
Die Fotografin LiliRoze (siehe auch oben) empfiehlt: „Es ist einfacher, sich an einen Traum zu erinnern, wenn man kurz nach dem Traum aufwacht … Manchmal ist es sogar der Traum, der mich aufweckt … Und wenn es ein wichtiger Traum ist, nehme ich mir die Zeit, ihn mir selbst zu erzählen, bevor ich wieder einschlafe. Um ihn in meinen Kopf zu schreiben“.
Von Salvador Dalí ist folgende Methode überliefert: Er hielt einen Löffel in der Hand, während er sich in einem Sessel ausruhte. Sobald er einschlief, fiel der Löffel zu Boden, und das Geräusch weckte ihn. So konnte er Bilder aus dem Traumzustand direkt festhalten.
Fazit: Träume bieten Fotografen eine spannende Möglichkeit, die Grenzen der Vorstellungskraft zu erweitern, wenn es ihnen gelingt, ihre Träume zu erinnern. Denn Träume sind ein Fenster ins Unbewusste, ein Spielplatz für Emotionen und Symbole, die sich in visuellen Werken manifestieren können. Wer sich bewusst mit seinen Träumen auseinandersetzt, könnte daraus eine endlose Quelle der Inspiration schöpfen.
Feedback und weitere Gedanken gern hier.