Thomas Berlin: Frank, du bist mir durch dein Buch "Die Kunst ein kreatives Leben zu führen" bekannt geworden. Was hatte dich am kreativen Leben so gereizt, ein Buch darüber zu schreiben?
Frank Berzbach: Die Krisen und Herausforderungen. Und mit dem Buch, das du erwähnst, wollte ich eine vertiefende Fortsetzung von „Kreativität aushalten“ schreiben. Ich wollte über die Arbeit hinaus das schöpferische Leben thematisieren. Was wird aus dem Leben und dem Arbeiten, wenn Kreativität zur Lebensform wird?
Thomas Berlin: Wenn wir Einfallsreichtum meinen, sprechen wir meist über Kreativität. Wie kann man Kreativität konkreter beschreiben und welche Bedeutung hat sie für schöpferisch tätige Menschen?
Frank Berzbach: Es geht um die Schöpfung, also um viel. Wir verändern die Welt fundamental, wenn wir kreativ werden. Wir wirken formgebend und diese Formen wirken dann auf uns zurück. Oft ist Unzufriedenheit ein wichtiger Faktor oder eine individuelle künstlerische Mission. Sich ausdrücken wollen, etwas auf die Welt bringen wollen. Es ist paradox: Die Kreativität geht aus einer gewissen Unruhe und Unrast hervor; aber um dann Ideen zu haben und umzusetzen, brauchen wir Klarheit und Konzentration.
Thomas Berlin: Diese Klarheit und Konzentration, von der du sprichst, wird ja durch Teamarbeit, Meetings und andere Kommunikationserfordernisse erschwert. Diese Unterbrechungen sind auf der anderen Seite vielleicht Inspirationen. Woran erkennt man eine angemessene Balance?
Frank Berzbach: Die Kommunikation ist heute meist von allein sehr dominant, wir müssen eher die Rückzugsräume sichern. Die Freiräume für Ungestörtheit sind, räumlich wie sozial, selten vorhanden. Man sollte die produktive Einsamkeit dann verlassen können, wann man möchte und nicht, weil man muss. Das wären Idealbedingungen.
Thomas Berlin: Ist Kreativität eine Veranlagung oder kann man sie entwickeln? Welches Lebensalter ist dabei relevant?
Frank Berzbach: Die Fähigkeit zum schöpferischen Handeln ist in Jedem angelegt, es ist die Frage, was man daraus macht. Menschen unterscheiden sich sicher in ihrem Energiehaushalt, aber die Selbstwirksamkeit spüren wir natürlich alle gern.
Thomas Berlin: Wie ändert sich Kreativität mit dem Alter?
Frank Berzbach: Lebensalter spielen zwar eine Rolle, aber nur für die verschiedenen Formen, nicht für die Potentiale. Kinder sind anders kreativ als ein älterer Mensch, der seine ganze Lebenserfahrung einbringt. Die Alterswerke der Künstler*innen sind genauso spannend wie die aus anderen Lebensphasen.
Thomas Berlin: Was ist allgemein förderlich und was behindert die Kreativität?
Frank Berzbach: Stress, Angst, Sorgen, Drogen, schlechte Gesundheit, fehlender Rhythmus behindern die Kreativität. Schönheit, Liebe, inspirierende Menschen, positive Gestimmtheit und Atmosphären fördern sie. Breite Handlungsspielräume laden dazu ein, tätig zu werden. Und vor allem fließt die Energie, wenn wir das, was wir tun, sinnvoll finden.
Thomas Berlin: Dass breite Handlungsspielräume die Kreativität positiv beeinflussen ist in Organisationen gut nachvollziehbar, die Spielräume meist eher einschränken. Ist das aber auch für selbständige Künstler/innen relevant, die ihre künstlerischen Handlungsspielräume doch selbst definieren könnten. Muss man sich also selbst zur Freiheit ermutigen und wie?
Frank Berzbach: Auch Selbständige können enorm fremdbestimmt sein, es gibt „Sachzwänge“. Wer ganz frei ist, der erlebt sofort das gegensätzliche Problem: die Angst. Man darf nicht auf die Motivation von außen warten, sondern muss einfach aufstehen und arbeiten. Der Rest fügt sich. Sich selbst eine Struktur geben ist die Aufgabe; weniger die Arbeit, eher die Organisation der Arbeit erzeugt Probleme. Wahrscheinlich leiden Kreative immer am Zuviel oder Zuwenig an Freiheit, eine Grundunzufriedenheit, mit der man Umzugehen lernen muss. Ich finde allerdings, dass Kreative gern auf hohem Niveau klagen. Dabei können von ihren Freiheiten die meisten Menschen nur träumen.
Thomas Berlin: Gibt es unterschiedliche Arten von Kreativität? Z.B. visuell, sprachlich oder so etwas?
Frank Berzbach: Ja, aber sie sind alle verbunden. Ich kenne niemanden, der nur Musik macht oder nur schreibt. Es gibt oft ein breites Interesse für die Künste, fürs Handwerk, aber auch für Alltagsbeobachtungen.
Thomas Berlin: Neben den typischen kreativen Berufen brauchen und gebrauchen auch Wissenschaftler oder Betriebswirte oft ihren Einfallsreichtum und müssen Ideen entwickeln. Würdest du da Ähnlichkeiten zur Kreativität der Künstler sehen? Und um die Frage zu erweitern: Führt die Beschäftigung mit Kunst zu Kreativität, die auch außerhalb des Kunstbetriebs wirken kann?
Frank Berzbach: Es gibt keinen Bereich, in dem man seine Tätigkeit nicht auch schöpferisch ausführen könnte. Alles kann pure Schufterei sein – oder innovativ. Ich glaube nicht an die Existenz einer kreativen Klasse. Kunst und Design können einfach Dienstleistungen sein; und Ingenieure oder Kaufleute können neue Welten erfinden. Sich mit Kunst zu beschäftigen kann den Blick öffnen und sie vermittelt komplexere Formen von Ordnung. Die sind in manchen Bereichen eher eindimensional. Ich glaube künstlerische Arbeiten, egal ob Musik, Film, Fotografie, Literatur, Malerei, regen ungeheuer an. Und in der Kunst werden alle Lebensbereiche thematisiert. Die Grenze zwischen meisterlichem Handwerk und Kunst ist fließend, wenn es überhaupt eine gibt. Man kann vielleicht ohne Kunst leben, aber niemand kann ohne Schönheit leben. Und in ihr entdecken wir kreative Leistungen.
Thomas Berlin: Neben Kreativität ist die Inspiration ein oft gebrauchter Begriff. Viele suchen Inspiration und Inspirationsquellen, so dass der Begriff Inspiration oft positiv konnotiert wird. In einem Interview sagte mir die französische Fotografin Angélique Boissière: "The problem with getting too inspired is that you end up creating nothing and reproducing everything." Kann es also ein Zuviel an Inspiration geben? Und daran anschließend: Wann hat ein Künstler zu wenig Inspiration?
Frank Berzbach: Da gibt es sicher große individuelle Unterschiede. Die Inspirationsphase ist nicht die eigentliche Phase der kreativen Handelns, sondern liegt davor. Wir müssen irgendwann mit der Aneignung aufhören, um schließlich selbst zu handeln. Die bloße Reproduktion haben wir eher von Leuten, die kein Wissen über die Geschichte haben. Ich selbst brauche schöne Musen, in verschiedener Form. Aber wenn ich schreibe, dann läuft der Plattenspieler nicht, sondern ich brauche Ruhe und Ungestörtheit. Ich umgebe mich mit vielen Bildern, Menschen, Klängen und Büchern. Aber ich sitze, wenn ich selbst schreibe, dann eher in ruhigerer Umgebung. Man muss auch die Reize, die man benötigt, dosieren.
Thomas Berlin: Wie erreichen Künstler darüber hinasu, dass aus den vielen Eindrücken eine schöpferische Anregung und nicht nur eine Verwirrung oder Verzettelung entsteht, die den eigenen Weg behindert?
Frank Berzbach: Durch Konzentration und permanentes Ordnen des Materials. Manchmal auch, wenn man sehr ruhig und sensibel ist, durch intuitives, ganz freies Handeln. Manchmal ist der Geist überspannt, dann muss man sich zurückziehen und die Reize minimieren. Das geht heute aber alles sehr einfach – sobald man offline ist.
Thomas Berlin: In deinen Buch "Die Kunst ein kreatives Leben zu führen" spielt Tee eine prominente Rolle, genauer gesagt die Teezeremonie. Ist das eine generelle Metapher für „offline" sein oder zur Ruhe zu kommen?
Frank Berzbach: Die japanische Teezeremonie ist eine hoch formale Übung, mit Entspannung hat sie nichts zu tun. Darum geht es in meinem Buch aber nicht. Ich empfehle als Alltagsritual grünen oder schwarzen Tee; gut zubereitet, ohne schnick-schnack, schönes Porzellan – das kann eine gute und stilvolle Pause im Arbeitsalltag sein. Tee wirkt bekömmlich und die Zubereitung beruhigt. Tee ist ein formbewusstes und geistvolles Getränk. Aber ich bin auch Fan von gutem Espresso oder Wein – alles gute Genussmittel für Kreative.
Thomas Berlin: Dann bleiben wir doch bei dir: Nach den spannenden Einblicken ist natürlich interessant, etwas mehr über dich als Person zu erfahren. Es ist bekannt, dass du ein erfolgreicher und sehr produktiver Buchautor bist. Wie würdest du dich darüber hinaus beruflich und als Mensch beschreiben?
Frank Berzbach: Oh, das ist nicht so einfach. Ich lebe in drei Städten, bin viel unterwegs, brauche Musen und Rückzugsorte, bin von allem Analogen sehr inspiriert: Füllhaltern, Plattenspieler, Analogfotos, Fahrräder; ich treffe gern Leute, aber nicht viele. Ich trinke sehr gern Wein, ich habe so einen Hang zum Rock n Roll und St. Pauli; ich beschäftige mich mit Künstlern wie Nick Cave, Johnny Cash und den Beatles; ich höre viel Jazz und klassische Musik. Ich suche im Alltag die Schönheit: Orte, Menschen, Objekte. Lesen und Schreiben beschäftigen mich jeden Tag, das macht mich froh. Und wenn ich gut gestimmt bin, werde ich schöpferisch.
Thomas Berlin: In deinem Buch nimmst du u.a. auf Klöster, Stille und die schon genannte Teezeremonie Bezug. Aber nicht auf Computer und Kreativitätstools. Was sagt das über dich bzw. deine Kreativitätssicht aus?
Frank Berzbach: Ich bin an „Tools“ und Techniken, Apps, Trends und Tricks völlig desinteressiert. Ich gehe spazieren, höre Musik, umgebe mich mit spannenden Menschen, lese und höre Schallplatten, mehr nicht. Ich sehe ab und zu gute Filme. Eine Stunde auf dem Sofa mit einer LP von Lana del Rey oder Miles Davis – und ich habe einen ganzen Schwung von Ideen. Ich mag und pflege zwar leidenschaftlich meinen Instagram-Account, aber da bildet sich am Ende nur meine analoge Welt ab.
Thomas Berlin: Frank, da du in einem Fotoblog gelandet bist, würde mich noch dein Verhältnis zur Fotografie interessieren, sei es als Produzent oder Rezipient.
Frank Berzbach: Ich selbst fotografiere gern mit dem Handy, Snapshots fürs Archiv, für die Erinnerung und Instagram. Aber ich kann selbst nicht im eigentlichen Sinne fotografieren. Meine Freundin liebt Analogfotografie, Instax und Polaroid und das beeindruckt mich sehr. Ein Instaxfoto machen und dann wird es gut, das bereitet mir noch Gänsehaut, weil ich es noch nicht so lange mache. Es ist etwas ähnliches wie gute Mixtapes aufnehmen (ich widme dem viel Zeit). Ich werde oft fotografiert, und wenn es Profis sind, dann macht mir das auch Freude. Ich selbst schaue mir viel diese rauere, analoge Aktfotografie an, die liebe ich sehr. Ich gehe gern zu Fotoausstellungen, oft ohne zu wissen, wohin ich gehe. Die großen Portraitfotograf*innen interessieren mich. Als jemand, der nur Buchstaben aneinanderreiht, haben Fotos für mich etwas sehr Besonderes. Man fühlt sich schnell zu dem hingezogen, was man selbst nicht macht. Ich könnte zur Fotografie oder Musik ständig schreiben. So verbinden sich die kreativen Dinge.
Thomas Berlin: Kannst du zu der raueren analogen Aktfotografie einen Fotografen als Beispiel nennen oder gilt dein Interesse der gesamten Stilrichtung?
Frank Berzbach: Es gilt der Fotografie allgemein. In Bezug auf schöne, nackte Menschen: Erst einmal ein zeitgenössischer Fotograf, der gar nicht analog fotografiert, aber eine analoge Atomsphäre schafft: Bob Sala. Seine Portraits und Szenarien betören mich. Ich möchte leben, wie so ein Foto aussieht. Dann folge ich einer aufregenden japanischen Instax-Fotografin auf Instagram, die mich fasziniert: babycash.instax.
Sonst begeistern mich die Meisterinnen und Meister: Richard Avedon, Helmut Newton, Diane Arbus, Francesca Woodman, Henri Cartier-Bresson. Anton Corbin ist mir sehr nah, weil er viele meiner Lieblingsmusiker abgelichtet hat. Seine Fotografien von Nick Cave, Depeche Mode und anderen. “Robert Mapplethorpe sieht Patti Smith”, ich liebe diese Arbeiten.
Thomas Berlin: Ich danke dir für das Interview!
Frank ist erreichbar über seine Website. Feedback zum Interview gern hier.