Thomas Berlin: Andreas, Du bist bekannt für Deine monochromen Akte und Portraits von Menschen aller Altersgruppen. Bildlich gesprochen, wirkt Dein Stil auf mich sehr persönlich und „ungeschminkt“ im Sinne von natürlich. Wie würdest Du selbst Deinen Bildstil beschreiben?
Andreas Jorns: Mein Bildstil resultiert aus dem, was mir als Mensch und Künstler wichtig ist: Natürlichkeit, Wahrhaftigkeit, Authentizität. Nichts anderes strebe ich in/mit meiner Fotografie an. Und das ist auch der Grund, warum ich nach vielen Schlenkern und Umwegen irgendwann in der Porträtfotografie gelandet bin (meine Aktfotografie sehe ich als logische Fortführung meiner Porträtfotografie).
Und wie würdest Du Dich selbst vorstellen?
Baby-Boomer (Jhg. 1966). Fotograf, Autor, Publizist. Autodidakt und Seiteneinsteiger. Glücklich verheiratet mit der besten Ehefrau von allen.
Schönheit (im Mainstream-Sinne) scheint mir für Deine Model-Auswahl nicht immer entscheidend zu sein. Wonach suchst Du die Menschen aus, die Du fotografierst?
Für mich gibt es nur ein Kriterium dafür, ob ich einen Menschen gern fotografieren möchte. Ich muss ihn auf irgendeine Weise interessant finden. Das ist auch der Grund dafür, warum ich schon vor langer Zeit aufgehört habe, nur Models zu fotografieren. Nicht, dass diese nicht interessant wären, aber das Leben ist doch so viel vielfältiger. Es gibt so viele interessante Menschen. Menschen, die Geschichten zu erzählen haben. Die eine ungeheure Ausstrahlung haben, auch wenn sie noch nie vor der Kamera gestanden haben. Natürlich kann ich mich nicht davon frei sprechen, auch nach dem Äußeren zu gehen - wir haben i.d.R. ja auch erst mal keinen anderen Anhaltspunkt, wenn wir einen Menschen das erste Mal sehen. „Schön“ ist dabei aber kein Attribut, dass ich bei der Einschätzung eines Menschen besonders wichtig finde. Ich weiss offen gestanden noch nicht einmal, was das ist. Wer definiert eigentlich, was schön ist? Ich persönlich maße mir das nicht an.
Und welche Bedeutung hat für Dich Schönheit?
Schönheit in der landläufigen Definition finde ich offen gestanden langweilig - wenn es alles ist, was ein Mensch vorweisen kann. Ich würde den Begriff gern durch „Attraktivität“ ersetzen - im Prinzip genau so subjektiv in der Bewertung, aber Attraktivität umfasst für mich mehr das große Ganze. Attraktiv können Menschen durch viele Wesenseigenschaften sein. Ich persönlich finde intelligente Menschen sehr attraktiv. Menschen, mit denen ich mich unterhalten kann. Die mir etwas zu erzählen haben. Wenn Sie mir etwas zu erzählen haben, haben Sie mir auch vor der Kamera etwas zu geben.
Gilt Dies unabhängig davon, ob Du ein Akt- oder Portraitshooting machst?
Ja! Meine Aktfotografie ist lediglich Porträtfotografie ohne Klamotten. Ich mache da absolut keinen Unterschied in der Herangehensweise.
Deine Bilder sind schwarzweiß. Warum keine Farbe?
Ich will jetzt nicht das wiederholen, was viele schlaue Menschen schon vor mir gesagt haben, aber die Entscheidung zwischen Farbe oder Schwarzweiß ist keine, die man fallweise trifft (bzw. treffen sollte). Im Prinzip ist es eine Philosophie. Ich bin davon überzeugt, dass schwarzweiss am Besten zu meiner Art der Fotografie - schlicht, reduziert, fokussiert - passt. Es ist schon eine logische Konsequenz. Nichts lenkt von dem Menschen vor der Kamera ab. Auch keine Farbe. Und für mich kommt noch ein weiterer wichtiger Aspekt hinzu, warum ich schon sehr früh die Schwarzweißfotografie favorisiert habe: ich bin in allen Belangen ein sehr unmodischer Mensch. Ich mag Zeitlosigkeit. Auch in der Fotografie. Mich faszinieren Aufnahmen, von denen ich nicht weiss, ob sie gestern oder vor 50 Jahren aufgenommen wurden. Zeitlosigkeit als Kontrapunkt zu Zeitgeist, wenn man so will. Denn Zeitloses bleibt - so ist meine Überzeugung.
Welche Vor-und Nachteile aus künstlerischer und geschäftlicher Sicht hat Deine Festlegung auf Schwarzweiß?
Eine gute Frage. Vermeintlich. Denn wenn man lange genug darüber nachdenkt, ist es müßig, darüber zu sinnieren. Ich bin der festen Überzeugung, dass man auch und gerade als Künstler das tun muss, wohinter man zu 100% stehen kann. Wenn man das wirklich tut, wird man künstlerisch aufblühen. Und auch wenn es viele Zweifler gibt: ich bin davon überzeugt, dass man auch in geschäftlicher Hinsicht nur davon profitieren kann, wenn man authentisch bleibt und ausschließlich das macht, was man selbst gut findet.
Wie gehst Du mit Licht um bzw. welche Bedeutung hat es im Shooting? Wann ist natürliches Licht und wann Kunstlicht für dich das Mittel der Wahl?
Es wird sich rumgesprochen haben, dass Licht nicht ganz unwichtig ist in der Fotografie - egal in welchem Genre. Und so sehe ich das natürlich auch. Du kannst jedes ordentliche Porträt mit einem spannenden Licht aufwerten und umgekehrt. Daher achte ich schon darauf, dass Licht im Griff zu haben, aber ich mache nicht den Fehler, es während des Shootings in den Fokus zu stellen - auch und gerade nicht in den Fokus meiner Aufmerksamkeit, denn der ist zu 100% auf den Menschen vor der Kamera gerichtet. Ihm gehört meine ganze Aufmerksamkeit. Wie ich das am Set löse? Ich setze stets nur EINE Lichtquelle ein (Fenster oder künstliches Licht - Blitz- oder Dauerlicht), die ich quasi im Schlaf beherrsche. Von der ich weiss, wie sie funktioniert. Wenn ich irgendwo zum ersten Mal bin, studiere ich das Licht bevor ich mit dem eigentlichen Fotografieren anfange. Neue Räume gehe ich ab und suche mir die Plätze, an denen mir das Licht gefällt. Wenn ich Nordfenster habe, arbeite ich gern mit Fensterlicht. Ansonsten ziehe ich gern auch mal die Vorhänge zu und nutze meine bewährte Deep Octa von Elinchrom mit Wabe - meist nutze ich dann nur das Einstelllicht (weniger nervig für das Model).
Wann ist ein Bild gelungen bzw. wann bist Du damit zufrieden?
Wenn es zu mir spricht. Wenn es mich „catcht“. Wenn es ein Gefühl transportiert. Und zwar innerhalb von wenigen Zehntelsekunden. ich kann mir kein Bild schön gucken. Es muss mich sofort berühren. Und wann ich zufrieden bin? Diese Frage sollte man einem Künstler wahrscheinlich nie stellen …^^
Wie wichtig ist Dir, dass andere Leute Dein Bild gut finden?
Ich muss jetzt aufpassen, wie ich es formuliere. Ich will nicht, dass es arrogant wirkt und vielleicht nimmt mir der ein oder andere das noch nicht einmal ab, aber selbstverständlich MUSS es mir weitgehend egal sein, was Andere über meine Bilder denken - zumindest insofern, dass ich mir meinen Blick auf meine Arbeiten nicht durch Andere beeinflussen lassen darf. Kein ernstzunehmender Künstler macht das. Aber selbstverständlich wäre es mir nicht ganz so egal, wenn ab morgen KEINER mehr meine Arbeiten mag und daher auch keine Bildbände etc. mehr von mir kauft. Ich habe aber in den letzten Jahren festgestellt, dass es IMMER irgendeine Art von Erfolg bringt, wenn man seinen Stiefel durchzieht. Wenn man das macht, woran man wirklich glaubt. Man kann niemals alle auf seinem Weg mitnehmen - genau so wenig wie es funktioniert, everybody’s darling sein zu wollen. Wenn man das irgendwann mal begriffen hat (und ich bin ja schon ein alter Sack und weiss das schon etwas länger), fällt es einem viel leichter, seinen Weg zu gehen.
Bitte sortiere folgende Zutaten eines People Shootings nach abnehmender Priorität für Deine Arbeit: Model, Konzept, Location, Kameraausrüstung, Licht, Spirit des Fotografen.
Verrückt: eine meiner wichtigsten Zutaten fehlt … 😉
Mensch vor der Kamera
Licht
Musik
die vorhandene Stimmung
Kommen wir zur Technik: Mit welchen Kameras / Formaten arbeitest Du?
Seit 10 Jahren arbeite ich überwiegend mit dem Leica System. Meine Lieblingskamera ist die M Monochrom, was wahrscheinlich nicht sonderlich überraschend ist. Die M und ein 50mm Objektiv (meistens). Kein Autofokus, keine Automatiken, keine Farbe.
Wie ist Dein Workflow nach der Aufnahme bis zum finalen Bild?
Im Durchschnitt brauche ich für jedes Bild nicht mehr als 2-3 Minuten für die Bearbeitung - früher in Lightroom, seit einem halben Jahr in Capture One. Photoshop nutze ich nur sehr selten. Aufwendige Retusche gibt es bei mir nicht. Meine Bilder kommen zu 90% fertig aus der Kamera.
Ist Dein Bild final, wenn es digital „fertig“ ist oder erst als Print?
Grundsätzlich erst dann, wenn es gedruckt ist - in welcher Form auch immer. Ohne wenn und aber! JEDES Bild profitiert davon, wenn es geprintet ist. Wie man fotografieren kann, ohne seine Bilder zu drucken bzw. drucken zu lassen, ist mir ein völliges Rätsel.
„Print“ bleibt ein Stichwort: Du hast bereits mehrere Bildbände veröffentlicht. Was bedeutet die Buchveröffentlichung einerseits als Künstler und andererseits als Selbständiger für Dich?
Es war im Prinzip schon ein Versprechen, das ich mir mit dem Start in die Berufsfotografie gegeben habe - dass ich alles daran setzen werde, einen eigenen Bildband zu machen. Es sind dann tatsächlich ein paar mehr geworden bis heute. Aus künstlerischer Sicht ist es quasi eine Art Selbstbestätigung. Ohne das würde ich mich definitiv unvollkommen fühlen. Eigene Bildbände (Prints) und Ausstellungen - worüber willst Du Dich als Foto-Künstler sonst definieren? Für mich als Solo-Selbstständigen ist das Thema natürlich ein zweischneidiges Schwert: auf der einen Seite bietet es Chancen (bei einem erfolgreichen Verkauf), aber es birgt auch immense Risiken und die Bindung von Liquidität. In diesem Punkt bin ich aber Unternehmer durch und durch: ohne die Bereitschaft, Risiken einzugehen und zu investieren, kommst Du nicht weit. Es war nicht immer leicht, aber für mich war es genau der richtige Schritt. Jetzt zum Beispiel in Zeiten der Corona-Krise geht für uns Fotografen eigentlich nichts - Aufträge werden storniert, Veranstaltungen abgesagt. Aber meine Bildbände kann ich auch in Krisenzeiten verkaufen. Dafür bin ich sehr dankbar.
Du hattest bereits Bücher veröffentlicht, bei denen Du Dich auf eine einzige Person konzentriert hast. Was war die Motivation dafür und hast Du damit erreicht, was Du Dir vorgenommen hast?
Ich bin ein großer Fan von Monographien und mich hat die Idee fasziniert, über einen längeren Zeitraum mit einer Person an einem solchen Projekt zu arbeiten. Es entspricht meiner Philosophie, mich voll und ganz auf den Menschen einzulassen, den ich fotografiere. Es liegt auf der Hand, dass es für beide Parteien leichter ist, wenn man sich über einen längeren Zeitraum immer wieder trifft. Der Faktor Zeit ist in meiner Fotografie durch nichts zu ersetzen. Die Intensität, den Grad an Intimität, die man erreicht, wenn man sich Zeit nimmt, ist einzigartig. Alle meine Projekte in dieser Hinsicht haben das unter Beweis gestellt.
Darüber hinaus würde mich interessieren, welches Vertrauensverhältnis Ihr zu Beginn und zum Ende des Buchprojektes hattet.
Natürlich wäre es sinnvoll, diese Frage auch an meine Protagpnistinnen aus den Bildbänden zu stellen, aber für mich persönlich ist klar, dass man schon zu Beginn ein Grundvertrauen zueinander benötigt, denn ansonsten ist schwer vorstellbar, dass man sich überhaupt auf ein solches Projekt einlässt. Und natürlich ist die persönliche Bande am Ende eines solchen Projekts noch sehr viel stärker - so wie man ja auch im realen Leben eine tiefere Beziehung zu Jemandem hat, den man länger kennt.
Kommen wir zu Deinen Shootings: Wie bereitest Du Dich vor? Gehst Du spontan oder mit einem Konzept ins Shooting? Erstellst Du z.B. vorab Mood Boards?
Treffe ich den Menschen zum ersten Mal, bereite ich mich gar nicht so besonders vor - außer neugierig zu sein und ganz viel Interesse an diesem Menschen zu haben. Aber das ist eh mein Naturell: ich interessiere mich für Menschen - insbesondere für die, die ich fotografieren will. Daher arbeite ich auch nur selten mit MoodBoards (eigentlich nur, wenn ich an einem langfristigen Projekten arbeite). Und Konzepte? Ich weiss nicht … welches Konzept benötigt man, um einen Menschen zu porträtieren. So authentisch und natürlich wie möglich? Ich glaube, ich mache mir Gedanken darüber, wie ich es schaffe, dass die Menschen vor meiner Kamera sich wohlfühlen und sich fallenlassen. Ich verwende viel Zeit für die Zusammenstellung von Shooting-Playlisten …
Wie sollten sich Fotografen gegenüber Models verhalten? Wie gehst Du auf den Menschen ein, den Du fotografierst?
Fotografen sollten sich gegenüber Models genau so verhalten wie (hoffentlich) gegenüber allen anderen Menschen in ihrem Leben auch: mit Respekt und Anstand. Mehr habe ich dazu eigentlich nicht zu sagen. Und wie ich auf die Menschen eingehe, die ich fotografiere? Wie oben bereits geschrieben, liegt das „Geheimnis“ darin, dass ich mich für sie interessiere. Dass ich ihnen zuhöre. Und dass ich mir viel Zeit nehme.
Was unterscheidet einen gutes von einem weniger guten Model aus Fotografensicht?
Ich kann das nicht beantworten, glaube ich. Ich arbeite in einem Bereich, wo ich von Menschen und nicht von Models spreche. Mich interessieren die typischen, vermeintlich wichtigen Modelattribute nicht so sehr. Ich bevorzuge es aber, mit Menschen zu arbeiten, die sich nicht einfach nur für „schöne Bilder“ interessieren. Denen echte Emotionen wichtiger sind als eine faltenfreie Haut. Die mir und meiner Bildauswahl vertrauen.
Viele Deiner Bilder wirken zeitlos schön. Gibt es ein historisches Fotografenvorbild?
Ich bin jetzt unsicher, was Du mit „historisch“ meinst und „Vorbild“ möchte ich es auch nicht nennen, aber am meisten beeinflusst haben mich sicher Peter Lindbergh, Anton Corbijn und Jim Rakete. Es gibt aber noch zahlreiche andere großartige Künstler, die ich mir immer wieder gern anschaue - Richard Avedon und Saul Leiter, um nur zwei von ihnen zu nennen.
Gibt es ein Magazin, eine Website oder ein Buch, dass Dich für Deine Fotografie besonders wichtig ist?
Alle Bücher, die ich gelesen, alle Bildbände, die ich mir angeschaut habe - und es waren wirklich SEHR viele - sind für mich wichtig. Besonders heraus heben würde ich da keines.
Wie wichtig ist Social Media für Deinen Erfolg und Deine Inspiration? Was nutzt Du?
Für meinen Erfolg spielen die sozialen Medien eine wichtige Rolle. Ohne Facebook und Instagram hätte ich nicht den Bekanntheitsgrad, den ich heute habe - auch wenn ich immer mal wieder damit hadere, wie wichtig es ist, dort präsent zu sein (und wieviel Zeit dafür drauf geht). Für meine eigene Inspiration spielt Instagram entegegen vieler anderslautender Trends de facto so gut wie keine Rolle. Inspieren tun mich Menschen, aber auch Bildbände und Ausstellungen anderer Künstler.
Das sind spannende Informationen. Nun ist natürlich noch interessant, wie und wann Du überhaupt zur Fotografie gekommen bist?
Fotografieren tue ich seit 40 Jahren, aber so richtig ernsthaft erst seit ca. 15 Jahren. Vor 10 Jahren habe ich mich dann als Fotograf selbstständig gemacht. Das Alles war vielen Zufällen geschuldet und hat mit zwei Büchern über Blitzfotografie zu tun, die ich geschrieben habe, als ich noch in meinem alten Beruf war. Ich war ursprünglich mal Banker und später Consultant bevor ich zur Berufsfotografie kam - aber das ist noch mal ein abendfüllendes Thema für sich ...
Was machst Du neben der Fotografie gern?
Ich liebe Musik. Leider bin ich diesbezüglich völlig talentfrei, was ich mit dem Aufbau einer riesigen Plattensammlung kompensiert habe. In freien Stunden bastle ich gern an neuen Spotify-Playlisten. Darüber hinaus verreise ich gern mit der besten Ehefrau von allen.
Herzlichen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg!
Andreas Jorns ist über seine Website erreichbar und hat mit den Leser/innen dieses Gesprächs seine musikalische Playlist geteilt.
Bilder: © Andreas Jorns