„Table Talks“ – Wenn ein Tisch zum Ort der Begegnung wird



2024 wurden weltweit täglich rund fünf Milliarden Fotos aufgenommen – mehr, als in den gesamten ersten hundert Jahren seit der Erfindung der Fotografie entstanden sind. Viele dieser Bilder entstehen beiläufig, allein, und verschwinden im digitalen Massengrab.

Fotografie in freien Projekten ist für mich etwas anderes: es ist eine bewusste, gemeinschaftliche Tätigkeit mit dem Ziel eines greifbaren Ergebnisses. Ob analoges Negativ oder digitale Datei - erst durch die sorgfältige und selektive Auswahl weniger Fotos aus den vielen Dateien oder Negativen, die während des Shootings entstehen, wird ein Foto für mich zu einem wirklichen “Bild”. Im Idealfall: gedruckt, greifbar, mit physischer Präsenz. Eine bewusste Reduktion ist mir wichtig - nicht nur in der Auswahl, sondern bei meinem Projekt “Table Talks” auch am Set: Ein kleiner Tisch. Zwei Personen, davon eine vor der Kamera. Mehr braucht es manchmal nicht, um große Geschichten zu erzählen. Ob sich diese Geschichten oder die Stimmung, die dabei entsteht, fotografisch einfangen lassen, bleibt zunächst offen und hängt auch vom Betrachter ab.

In einer Welt der Reizüberflutung, der ständigen Erreichbarkeit und der oft sehr flüchtigen Begegnungen ist mein Langzeitprojekt “Table Talks” eine persönliche und stille Gegenbewegung. Es soll ein Raum sein, der reduziert - und vielleicht gerade dadurch offenbart.

Die Umsetzung der Idee „Table Talks“ als fotografischem Projekt

„Table Talks“ ist eine fortlaufende Fotoserie, in der meine Models eingeladen sind, im vielleicht kleinsten Fotostudio der Welt zu kommen. Dort sitzen sie an einem kleinen Tisch - sehr reduziert, fast symbolisch - und treten in einen Dialog: mit sich selbst und mit mir, dem Fotografen. Manchmal bringen sie Gegenstände mit, manchmal spielen sie mit einer Tasse, einem Glas Wasser, Blumen. Manchmal tun sie gar nichts - und lassen nur ihre Blicke sprechen. Wir begegnen uns in diesem Projekt ohne Routine und ohne Posing-Karussell.

Oft entstehen Porträts. Mal euphorisch, mal melancholisch, mal laut, mal heiter. Manche schauen direkt in die Kamera, andere wenden sich ab. Aber eines verbindet sie alle: die Konzentration auf den Moment. Es geht nicht um Pose oder Perfektion, sondern um die Authentizität des Augenblicks. Um das, was zwischen den Worten liegt.

Der Tisch als Bühne – und als Brücke

Ein Tisch ist das zentrale Requisit dieses Projekts - und weit mehr als ein Möbelstück. In unserer Kultur ist der Tisch ein Ort der Begegnung, des Gesprächs, des Austauschs. Am Tisch werden Geschichten erzählt, Konflikte ausgetragen, Versöhnung gefeiert, Lebenspläne geschmiedet. Er steht für Nähe, für Gemeinschaft - und manchmal auch für Distanz.

In „Table Talks“ wird der Tisch zur Bühne für persönliche Ausdrucksformen. Er bietet Halt, Struktur - und zugleich Raum für Spontaneität. Was auf ihm liegt oder in seinem Kontext geschieht, erzählt von den Menschen, die an ihm Platz nehmen.

Tischgespräche: Mehr als Worte

Tischgespräche haben eine lange Tradition. Schon in der Antike war der Tisch ein Ort des Diskurses. Und auch heute noch haben Tischgespräche eine besondere Qualität. Sie sind bestenfalls ungezwungen, ehrlich, nahbar.

Am Tisch öffnen sich Menschen. Vielleicht, weil man sich gegenüber sitzt oder ein Getränk teilt. Vielleicht, weil der Alltag für einen Moment pausiert. Genau diese Offenheit macht „Table Talks“ für mich so reizvoll: Es ist Fotografie, die nicht inszeniert, sondern zulässt.

Der fotografische Blick: Zwischen Nähe und Respekt

Was „Table Talks“ fotografisch ausmacht, sind Nähe und Respekt. Die Porträts sind intim und minimalistisch, aber nie aufdringlich. Sie zeigen Menschen, wie sie sind – oder wie sie sein möchten. Der Blick durch die Kamera ist offen, neugierig, aber nicht bewertend. Er lässt Raum für Interpretationen, für Zwischenräume, für das, was unausgesprochen bleibt.

Statt auf schnelle Effekte setzen, ist dieses Projekt mein persönliches Plädoyer für das Verweilen. Für den Moment des Innehaltens. Es verwendet einem einfachen Tisch: als Symbol für Begegnung, als Bühne für Ausdruck, als Ort des Zuhörens. Und vielleicht erinnert es uns daran, wie wichtig echte Gespräche sind. Nicht nur vor der Kamera, sondern im Leben. Gespräche, bei denen wir nicht nur sprechen, sondern auch zuhören. Gespräche, bei denen ein einfacher Tisch reicht, um einander zu begegnen.

 

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Alle Bilder: © Thomas Berlin.

Thomas Berlin

Thomas Berlin is a fine art photographer, photo blogger and photo book publisher from near Frankfurt am Main, Germany.

https://thomasberlin.net
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