Thomas Berlin: Michèl, du bist als Fotograf beruflich überwiegend tätig in den Bereichen Portrait, Dokumentary und Wedding. Ich möchte mir dir gern über deine Portraitfotografie sprechen, sowohl über freie Arbeiten als auch Auftragsarbeiten. Passt das?
Michèl Passin: Haha, klar passt das!
Thomas Berlin: Wenn ich deine Portraits betrachte, sehe ich überwiegend junge, aktive und selbstbewusste Menschen, die Spaß an ihrem Leben haben. Deine Bilder wirken eher spontan als inszeniert und sie wirken authentisch. Ist dieser Eindruck richtig bzw. wie würdest du deine Portraitfotografie beschrieben?
Michèl Passin: Doch, das kommt hin. Da ich eigentlich ein noch viel größerer Fan von Reportage Fotografie bin, mag ich es auch nicht wenn Portraits zu sehr gestellt sind. Das schlimmste sind für mich Models, die ihre 7 Posen abrufen und zu professionell wirken, weil sie zu viel GNTM geschaut haben.
Thomas Berlin: Das ist das Sichtbare in deinen Bildern. Und wie würdest du die Intention oder die Ambition deiner Fotografie beschreiben? Gibt es eine spezifischer Stimmung, die du bei den Betrachtenden auslösen möchtest?
Michèl Passin: Ganz ehrlich? Nie drüber nachgedacht! Ich mach nur das worauf ich Bock habe, abgesehen von der Prämisse mit der Authentizität.
Thomas Berlin: Wer sind im allgemeinen die Auftraggeber?
Michèl Passin: Abgesehen von den Portraits sind das vor allem Bands und Einzelkünstler, bzw. deren Management. Auch dabei waren schon Brands, aber das ist eine ganze Weile her.
Thomas Berlin: Wie weit spielen neben Auftragsarbeiten auch freie Arbeiten eine Rolle?
Michèl Passin: Sogar eine deutlich größere. Ich habe schon immer mehr auf freie Arbeiten zur Portfolio-Erweiterung gesetzt und dadurch haben sich dann Aufträge ergeben.
Thomas Berlin: Wie entsteht bei dir die Idee für ein Shooting oder ein Bild? Arbeitest du eher intuitiv oder planvoll?
Michèl Passin: Das meiste entsteht spontan. Alles so ein wenig „Jäger und Sammler“. Irgendwie hat man ja schon mal was gesehen und kombiniert bzw. adaptiert das mit was anderem. Neues erfindet keiner mehr da draußen und so auch ich nicht. Ich plane meist nur das grundsätzliche Setting und weiß bis zur Ankunft nicht mal was für Outfits dabei sind. Passiert dann alles nebenbei.
Thomas Berlin: Wie viel Vorbereitung oder Konzeption ist im Vorfeld deiner Shootings nötig?
Michèl Passin: Hängt ganz davon ab, was und wie man fotografiert. Jemand, der extrem viel Wert darauf legt, dass wirklich alles passt, der muss viel planen. Mir ist das alles Latte. Fokus liegt auf dem Gesamtkonzept und ob das selbe Foto 3 Minuten mit der Sonne in dem Winkel besser wäre, darauf kommt es mir nicht an. Hauptsache alles ist im Flow und alle haben ne gute Zeit!
Es gibt eine grobe Idee die zusammen mit dem Model entwickelt wird und dafür suche ich eine Location. Shooting dauert dann zwei bis maximal vier Stunden und dann wird drauf los improvisiert.
Viel mehr Spaß habe ich daher bei Reportage Aufnahmen. Das einfangen was da ist, spontan agieren und einfach im Moment sein.
Thomas Berlin: Wie findest du deine Models und wonach suchst du diese aus? Hast du generelle Kriterien, die dir wichtig sind?
Michèl Passin: Klingt das doof, wenn ich sage, dass die mich finden (lacht)? Alles über Instagram. Mir ist wichtig, dass jemand wandelbar ist. Auf jedem Foto den selben Blick macht mich fertig. Und vorab wird viel geschrieben um zu checken ob man sich was zu erzählen hat – immerhin verbringt man bei einem Shooting Zeit miteinander.
Thomas Berlin: Was ist ein gutes Bild? Wann sind bist du mir deiner Arbeit zufrieden?
Michèl Passin: Ein gutes Bild löst Emotionen aus. Ist also nicht allgemeingültig, in einem von zwei Leuten löst es etwas aus und für die eine Person ist es dann ein gutes Bild.
Ich bin nie zufrieden und jeder, der zufrieden ist, hat aufgehört, sich weiterzuentwickeln. Klar bin ich happy und angetan, aber nicht lange.
Thomas Berlin: Du bist ja als Fotograf sehr reflektiert und gibst auch Tipps für Fotografen, wie diese ihr Thema finden uns umsetzen können. Darauf möchte ich natürlich auch noch eingehen aber vorher interessiert mich, wie du selbst dein Thema gefunden hast. Das sind Menschen, oder?
Michèl Passin: Ja, ganz klar Menschen. Und noch viel lieber ungestellte Momente mit Menschen. Reportage steht für mich tausende Stufen über Portraits. Gemerkt habe ich das nur, als ich es gemacht habe.
Thomas Berlin: Ich wollte eigentlich nur über deine Portraitfotografie sprechen. Aber jetzt hast du mich neugierig gemacht. Reportagen machst du u.a. bei Konzerten?
Michèl Passin: Ja genau, knapp 2 Jahre für The BossHoss alle Foto- und Videoproduktionen gemacht, inklusive Tournee, gemeinsam im Tourbus, Festival-Rutschen und Co. Haben damals den gesamten Album-Entstehungsprozess festgehalten. War zum einen die stressigste Zeit meines Lebens, da Videos und Fotos am nächsten Morgen fertig sein sollten, zum anderen aber auch die geilste Zeit. Videodrehs vor und hinter der Kamera begleiten und dabei näher als alle anderen sein. Einfach Momente festhalten. Daraus hat sich dann auch die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern, MediaMarkt, dem DRK und Co ergeben.
Ist aber viel zu lang her einen Artist so richtig begleitet zu haben. Zuletzt die Band 01099 beim Konzert begleitet, da aber tatsächlich nur aus dem Graben heraus und nicht das worauf es mir ankommt:super nah dran zu sein.
Und dann gab es natürlich die Zeiten der Hochzeitsreportagen, aber das mache ich nur noch, wenn ich das Brautpaar kenne, bzw. hab die Preise so angezogen, dass es ein gutes Schmerzensgeld ist
Thomas Berlin: Kommen wir zurück zum Begriff des “Themas” in der Fotografie. Welchen Weg empfiehlst du anderen Menschen in der Fotografie, ihren Weg zu finden?
Michèl Passin: Machen und nicht abbringen lassen. Sich mit niemandem vergleichen und nicht zufrieden sein. Irgendwann kommt alles zusammen. Man muss es aber ehrlich wollen und nicht nur eines Trends wegen dabei sein.
Thomas Berlin: Würdest du das unterschiedlich sehen, je nachdem, ob die Fotografie beruflich der hobbymäßig ausgeübt wird?
Michèl Passin: Nö, ich finde auch im beruflichen muss man sich Leichtigkeit erhalten und selbst auch Authentizität ausstrahlen. Zumal man heutzutage weniger aufgrund seiner Arbeit, als selbst als Person gebucht wird. Jeder Künstler muss seine eigene Marke sein.
Thomas Berlin: Oft wird das fotografische Thema ja mit den Fotomotiven gleichgesetzt. Ich höre oft, dass es nicht einfach ist, ein Thema zu finden, das Motivation und Antrieb ist.
Michèl Passin: Ist es auch nicht! Aber ich denke das ist ein wichtiger Prozess, durch den jeder mal gehen sollte, um genau das zu finden. Ich hab letztens ein Reel veröffentlicht mit ein paar Fragen, die man sich auf der Suche nach dem richtigen Thema stellen kann. Was mag ich? Wer inspiriert mich? Gibt es besonderes Licht das ich mag?
Ich denke an sowas kann man sich gut vorantasten. Man sollte jedoch nie vergessen, dass sich auch das permanent ändert und entwickelt. Der eigene Antrieb ist ein Prozess und etwas was mir heute gefällt, juckt mich morgen schon nicht mehr.
Aus genau diesem Grund gibt es aktuell auch keinerlei neue Portraits von mir. Es treibt mich nicht genügend an und in gewisser Weise bin ich auch müde davon. Müde vom meiner Meinung nach doch zu oft gesehenem, austauschbaren Einheitsbrei. Mir begegnete zuletzt sehr viel austauschbarer, verwechselbarer Content und dann habe ich mir die Fragen erneut gestellt und die Antwort die mir fehlte war einfach: Authentizität.
Das soll aber in keinster Weise die Arbeit irgendwelcher Kollegen schmälern, das ist einfach meine persönliche Beobachtung, die mich dann die Dinge wieder hat hinterfragen lässt.
Thomas Berlin: Kommen wir zur technischen Seite. Welche Kameras und Brennweiten verwendest du überwiegend?
Michèl Passin: Leica. Seit Jahren. Und ausschließlich 35mm, alles andere ist doof :D Außerdem überfordert mich Auswahl, da werde ich hektisch und kann mich nicht fokussieren. Konkret die M10-P mit dem 35er Nokton. Für Video ne Sony ZV-E1 mit einem 35er (haha) G-Master. Nur analog sieht es anders aus. Pentax 6x7 mit dem 105/2.0, die YashicaMat 124G, Konica Hexar AF und ne Olympus OM-2, muss aber mal wieder aussortieren.
Thomas Berlin: Mit der manuell zu fokussierenden digitalen Leica und deinen analogen Kameras hast du vermutlich eine ruhige Arbeitsweise in der Portraitfotografie oder bist du beim manuellen Fokussieren besonders schnell? Warum verzichtest du eigentlich auf automatische Fokussierung?
Michèl Passin: Genau, ich mag das ruhige Fotografieren. Beim Fotografieren möchte ich abschalten und da entschleunigt mich das analoge Feeling auch im Digitalen. Schneller bin ich dadurch keinesfalls, außer ich nutze zone-focussing in gewissen Situationen. Und natürlich behaupte ich auch, dass die Emotion zählt und nicht die Schärfe. Vielleicht reden sich das Leica Fotografen aber auch nur schön.
Thomas Berlin: Warum fotografierst du eigentlich auch analog? Und wann entscheidest du dich für analoge bzw. digitale Fotografie?
Michèl Passin: Ich hab das schon immer geliebt und hier und da auch gemacht. Die Ungeduld hat mich aber immer davon abgehalten. Mein sehr guter Freund Philip hat mir dann aber Anfang letzten Jahres gezeigt, wie man selbst entwickelt und nach einer viel zu großen Investition in Scanner und Chemie, habe ich das auch gemacht und plötzlich waren meine analogen Fotos schneller fertig, als die digitalen. Seitdem hab ich sogar mehr Bock auf analog als auf digital, bremse es nur aufgrund der Kosten – und weil die eigene Family Weihnachtsfotos auf nem Ilford Delta 3200 einfach nicht zu schätzen weiß (lacht).
Entscheiden ist da inzwischen einfach. Bei Jobs ist beides dabei, die Band 01099 hab ich sogar mit Fokus auf analog fotografiert. Diverse Shootings 100% analog, dann aber nur noch Mittelformat. Privat alles nur digital, weil es zu schade ist. Und jeden Monat 1 Rolle Film auf der 35mm. Ach und Urlaub auch immer beides dabei.
Thomas Berlin: Wie ist generell dein Blick auf die analoge Fotografie in der Szene?
Michèl Passin: Boah ganz ehrlich? Ich bin etwas genervt davon haha. Gefühlt rennt jetzt wieder jeder mit ner analogen Kamera rum. Ich frag mich tatsächlich oft, ob jemand das aus Überzeugung macht, oder nur weil es cool ankommt. Ich will niemandem etwas vorwerfen, aber analog ist genau so ein Trend geworden, wie ne Leica in der Hand zu haben.
Thomas Berlin: Wie sieht dein Workflow nach dem Shooting aus?
Michèl Passin: Alles auf dem iPad Pro in Lightroom importieren, Lieblingsbild bearbeiten und den dafür passenden Look finden, den dann auf alle anwenden, dann aussortieren und übrig gebliebene Bilder mit Detailanpassungen finalisieren. Fertige Bilder dann am selben Tag noch rausschicken.
Thomas Berlin: Kannst du bitte noch etwas zum Datenmanagement sagen?
Michèl Passin: Ich habe alle jpeg’s in Google Photos für mich selbst gesichert, hab die RAW’s aus dem aktuellen und letzten Kalenderjahr in Lightroom gesichert und alles andere fliegt weg. Kundenübergabe liegt alles in picdrop, da sortiere ich auch nicht aus.
Thomas Berlin: D.h. du löscht deine RAW´s nach zwei Jahren und behältst wirklich nur noch die JPEG´s? Das klingt extrem pragmatisch, bekomme ich nicht hin :) Über wieviele Bilder sprechen wir eigentlich, ich meine wieviele Bilder entstehen ungefähr je Shooting meist und wieviele werden aufgehoben?
Michèl Passin: Ja, alles weg was final ist. Also bei einem zweistündige Shooting so 800 Fotos, digital natürlich, und dann gibt’s für das Model gern mal 60-100 unterschiedliche Bilder. Bin jetzt nicht der, bei dem man sich danach für 5 entscheiden darf. Und auch niemand der die Serienfotos der Sony exportiert.
Thomas Berlin: Gibt es etwas, was du als Fotograf in den nächsten Jahren erreichen möchtest?
Michèl Passin: Nö, nur wieder deutlich mehr im Bereich Reportage arbeiten.
Thomas Berlin: Wie bist du zur Fotografie gekommen?
Michèl Passin: Hab halt irgendwie schon immer Fotos gemacht und irgendwann mal ne Kamera gekauft. Und dann der meiner Meinung nach typische Werdegang: „Stillleben, Landschaft , Portrait , Reportage begleitet von unfassbar grässlichen kreativen Experimenten für die man sich schämt, die aber jeder mal durchmacht.
Thomas Berlin: Wie siehst du die Bildgenerierung durch KI? Machst du das auch? Und welche Auswirkungen erwartest du für deine Auftragsfotografie?
Michèl Passin: Ich find’s super. Ich nutze das vor allem um Moodboards zu erstellen und Ideen zu skizzieren. Klar macht das vielen Angst – und machen wir uns nix vor – das muss dringend reguliert werden, aber das ist alles erst der Anfang. Kreativ sein muss man dennoch, ich sehe es nur als neues Werkzeug, welches uns in die Hände gegeben wird. Aber ja, wäre ich Stock-Fotograf hätte ich Angst, alles was mit Emotionen und Momenten zu tun hat ist safe – vorerst.
Thomas Berlin: Ist die Fotografie deine berufliche Haupttätigkeit?
Michèl Passin: Auf gar keinen Fall und wird sie auch nie! Das habe ich gelernt als ich damals längere Zeit für Porsche Design als Fotograf tätig war. Hauptberuflich mag ich den Druck nicht, fotografieren zu müssen. Das nimmt jegliche Kreativität.
Thomas Berlin: Was machest du privat gerne, wenn du gerade nicht fotografierst?
Michèl Passin: Mich gibt es eigentlich nicht ohne Kamera, das nervt auch die Familie gern mal. *lacht* Nein aber ernsthaft, ich kann nicht Nichts machen. Irgendwie bin ich immer auf der Suche irgendwas kreatives zu machen. Es gibt Musik von mir auf Spotify und Co., ich tätowiere, zeichne und hauptberuflich bin ich ja auch seit Jahrzehnten als Creative Director unterwegs.
Thomas Berlin: Danke für das Gespräch, Michel. Möchtest du zum Abschluss noch etwas sagen?
Michèl Passin: Nur Danke für deine Zeit und die Möglichkeit!
Michèl Passin ist erreichbar über seine Website und auf Instagram. Feedback zum Interview ist hier willkommen.