"Meine Bilder zeigen Schönheit, nur darum geht es." - Der Fotograf Thomas Hauser im Gespräch mit Thomas Berlin
Thomas Berlin: Es wird in diesem Interview insbesondere um deine Fotografie von Frauen gehen. Aber bevor wir darauf kommen würde ich gern bei Stilleben beginnen. Deine Stilleben zeigten Blumen. Warum gerade Blumen?
Thomas Hauser: Meine erste fotografische Serie waren Portraits und Detailaufnahmen von einem weiblichen Körper. Diese Fotos sind kaum bekannt, erst Jahre später habe ich diese Art der Fotografie in meine Modestrecken integriert. Farbfotos geblitzt, der Bildausschnitt ist fast ausnahmslos auf den Bereich zwischen Knien und Brust der Modelle beschränkt. Die Körper sind mit sehr bunten Kleidern oder stark farbiger Wäsche bedeckt. So ging es ca. 2003/2004 los. Vorher hatte ich ähnliche Motive malerisch angegangen.
Nachdem ich beschlossen hatte bei der Fotografie zu bleiben kam eine Phase die nicht ganz einfach war. Ich musste mich ganz neu orientieren, technisch lernen und mir war auch klar, dass ich nicht bis an mein Lebensende Unterwäsche fotografieren kann.
Stillleben waren eine gute Möglichkeit an etwas zu arbeiten, mir die notwendige Technik beizubringen und auch gleichzeitig etwas eigenes künstlerisches zu entwickeln. Vor den Blumen fotografierte ich Luftballons die, genau betrachtet, nichts anderes als Ersatzmodelle waren. Körperlich, farbig, skulptural. Was als Notlösung gedacht war wurde schnell zu einer fotografischen Serie an die ich auch heute noch manchmal anknüpfe.
Dann habe ich angefangen mit Großformatkameras zu arbeiten und habe erstmals auf S/W-Material fotografiert. Sehr schnell habe ich festgestellt, dass mich die prallen, frischen Blumen in schönen Vasen nicht interessieren. Aber in dem Zustand kurz vor dem endgültigen verwelken fand ich sie am schönsten, am interessantesten. Die Fotografie ist ja das perfekte Medium Vergänglichkeit zu dokumentieren.
Berlin: Die Blumen sind teilweise welk, aber immer noch lebend. Ist die Fotografie von Blumen im Zwischenzustand ihrer Existenz eine Metapher?
Hauser: Meine Blumenbilder sind nicht als Metapher gedacht aber es ist wahrscheinlich unumgänglich, dass sie auch so gelesen werden.
Berlin: Wie kam es dann zur Fotografie von Menschen?
Hauser: In meiner Malerei sind Menschenbilder auch das vorrangige Thema gewesen, genau genommen Frauenbilder. Es hat aber lange gedauert bis ich Modelle in mein Studio eingeladen habe um Portraits und Akte zu fotografieren. Ich wußte auch schlicht nicht wie ich das anstellen soll. Ein Tipp befreundeter Künstlerinnen, eine Anzeige im Internet zu setzen, hat den Ausschlag gegeben. Das war ca. 2007.
Berlin: Kannst du deinen Fokus auf die Fotografie von Frauen erklären?
Hauser: Nein, leider nicht. Aber es ist das Einzige was mich vollkommen in Beschlag nimmt, nie langweilig ist oder zur Routine wird. Es hört einfach nicht auf mich anzutreiben und zu arbeiten.
Berlin: Wie kam es zur Auswahl der abgebildeten Frauen?
Hauser: Ich habe eine Anzeige im Internet gepostet und jede Frau die interessiert war wurde von mir auch eingeladen und fotografiert. Ich habe keinerlei Auswahl getroffen. Ich habe auch keine Fotos der Modelle vorab verlangt. Es gab lediglich die Altersbegrenzung 18 bis 25 Jahre.
Berlin: Warum hast du eine statische Vorgehensweise mit einer Kamera auf dem Stativ im Studio entwickelt? Warum nicht dynamisch, draußen und aus unterschiedlichen Perspektiven?
Hauser: Die ersten Jahre habe ich ausschließlich bei Tageslicht mit Großformat fotografiert. Da ist eine viertel bis ganze Sekunde Belichtungszeit nicht ungewöhnlich. Außerdem bin ich aus Kostengründen beschränkt gewesen auf maximal 10 bis 15 Blatt Film pro Sitzung. Mit der 8x10 inch Kamera wurden diese Parameter noch verschärft. Aber genau diese steife, gefrorene Atmosphäre erzeugt einen erheblichen Teil der Stimmung in den Fotos. Ich strebe auch immer an ein möglichst komplettes Bild, ein perfekt komponiertes Foto hinzukriegen, das für sich allein steht. Meine Blumenbilder sind auch (fast) immer ganz im Bildausschnitt zu sehen. Es soll keine Fehler (Fehlstellen oder Lücken) geben. Details sind nicht mein Ding. Im Gegenteil, es gibt kaum was schöneres als die Details in einem Foto herauszulesen und zu entdecken. Das kompositorische ist vielleicht das Element das ich am auffälligsten aus der Malerei mitgebracht habe.
Noch wichtiger aber ist mir der Ausdruck in den Gesichtern. Das sind keine Zufallsschüsse. Machmal ist es auch sehr schwierig für die Modelle und es dauert sehr lange bis alles im Bild richtig ist, alles an seinem Platz ist und der Ausdruck stimmt. Nicht selten kriege ich auch das Licht nicht so ins Bild wie es sein sollte. Also all das erfordert Zeit und führt zu einem langsamen Prozess. Das lässt sich nur so realisieren. Ich könnte auch draußen fotografieren, was ich sogar sehr gerne machen würde, aber die Abhängigkeit vom Wetter ist mir einfach zu umständlich.
Berlin: Die immer gleichen Bedingungen der Perspektive bei meist gleichen Licht auf das Motiv erinnern mich etwas an die Bechers. Wobei der Vergleich natürlich dadurch hinkt, daß Bernd und Hilla Becher ihr Motiv nur suchen aber nicht beeinflussen konnten, nur deren Abbildung. Welchen Einfluss nimmst du auf deine Modelle?
Hauser: Die Bechers haben ihre Motive sehr wohl beeinflusst. Standpunkt, Tageszeit- und Licht etc. Außerdem sind die Himmelpartien in ihren Abzügen immer gleich, was bei vielen Aufnahmen erst im Labor gemacht werden konnte. Immer das gleiche helle Grau, keine Wolken, kein satter dunkler Himmel wenn mal die Sonne geschienen hat.
Mein vergleichbarer Einfluss auf meine Modelle wäre der Zwang zu dem immer gleichen neutralen, ernsten Ausdruck im Gesicht. Kein Lachen, kein Weinen, kein Grinsen. Neutral und ernst!
Berlin: Manche Modelle sind bekleidet, andere nicht. Einige sind explizit nackt andere nur etwas. Wonach richtete sich das bei der Aufnahme? Und hattest du Posen vorgegeben?
Hauser: Ich fotografiere immer in der gleichen Vorgehensweise. Wenn jemand zu mir kommt ist vorher klargestellt worden, ob angezogen, halbnackt oder ganz nackt fotografiert wird. Die ersten Aufnahmen sind aber immer in der vollständigen Bekleidung in der das Modell das Studio betritt.
Im Winter auch gerne mit Mütze und Mantel. Die Posen sind nicht festgelegt werden aber besprochen.
Berlin: Welche Motivation hatten die Modelle?
Hauser: Die Motivation ist sehr verschieden. In den ersten Jahren, als Berlin diese unglaubliche Magnetwirkung auf alle möglichen Leute aus aller Welt hatte, meldeten sich sehr viel Künstlerinnen bei mir. Frauen aus allen Sparten – Tänzerinnen, Malerinnen, Filmemacherinnen. Aber auch etliche Fotografinnen waren dabei, die, unter anderem auch, sehen wollten wie ich arbeite. Das hat mich ziemlich überrascht, da meine Arbeitsweise doch sehr simple und durchsichtig ist. Einige möchten von mir fotografiert werden weil sie meine Arbeit schätzen. Und natürlich dürfte auch die Bezahlung die Motivation sein. Meine Modelle werden alle bezahlt, das ist eine außergewöhnliche Arbeit die sie leisten und das muss vergütet werden. Alle bekommen digitale Dateien vom Shoot und wer möchte auch einen Print. Das wird aber komischerweise so gut wie nie in Anspruch genommen.
Berlin: Die Bilder sehen nicht retuschiert aus, die Frauen nicht gestylt. Gleichzeitig sind alle möglicherweise ablenkenden Elemente, z.B. an den Bildrändern, nicht existent. Die Arbeitsweise wirkt sehr seriell. Kannst du zu diesem Beobachtungen bitte etwas sagen, z.B. welcher konzeptionellen Überlegung du folgst.
Hauser: Ich arbeite gerne seriell. Meine Ausstellungen sind auch in der Regel formal, seriell aufgebaut. Oder aber chronologisch. Es gibt auch eine serielle Arbeit die nach Helligkeit konzipiert wurde. Das selbe Modell immer stehend, angefangen mit der hellsten Belichtung und endend mit der dunkelsten.
Ich fotografiere aber nicht mit Vorsatz darauf hin. Erst wenn viele Bilder entstanden sind werden die Serien aus diesem Archiv zusammen gestellt. Die Idee eines riesigen Archivs von Frauen und Mädchen die ich hier in Berlin antreffe gefällt mir sehr. So entsteht auch ein Zeitdokument.
Berlin: Findest du die in deinem neuen Buch "Girls Seen" abgebildeten Frauen schön? Bzw. spielte das für die Aufnahme und die anschließende Ausstellung für das Buch überhaupt eine Rolle?
Hauser: Selbstverständlich finde ich diese Frauen schön. Für mich ist es eher dramatisch zu sehen, wenn jemand im echten Leben schöner ist als in meinen Fotos. Das kommt nicht selten vor. Aber die Fotos zeigen Schönheit, oder sollen Schönheit zeigen, nur darum gehts.
Berlin: Das finde ich eine klare Aussage. Gleichzeitig frage ich mich, was deine Vorstellung von Schönheit ist, um die es bei deiner Arbeit geht.
Hauser: Reden wir von weiblicher Schönheit oder von der Schönheit der Fotografie? Oder von beidem? Wahrscheinlich ist es nicht zu trennen und es gibt noch die Schönheit des Moments, die Schönheit der Zeit. Das kann alles in einem Foto vereint sein. Das macht es für mich so ungeheuerlich aufregend und interessant.
Thomas Berlin: Warum Schwarz-Weiß?
Hauser: Die Farbe Grau ist meine Lieblingsfarbe, außerdem ist es einfacher. Und! Nicht vergessen ich fotografiere auch sehr viel in Farbe - dann nur ganz anders!
Thomas Berlin: Welche Kamera bzw. welches Filmformat und welche Brennweite verwendest du?
Hauser: Ich fotografiere mit drei Kameras: eine 4x5, eine 8x10 und eine Digitalkamera. Alle mit 50 mm Brennweite, bzw. dem Equivalent für 50 mm.
Berlin: Warum fotografierst du eigentlich analog? Und wann arbeitest du im 4x5- und wann im 8x10-Format?
Hauser: Ich arbeite nicht ausschließlich analog. Im Gegenteil, ich schätze inzwischen ist der Anteil digitaler Fotografie erheblich. Meine Modefotografie dürfte zu 90 % digital sein. Viele denken, dass alles von mir analog aufgenommen ist und reagieren enttäuscht wenn sie das Gegenteil erfahren. Das finde ich, gelinde gesagt, seltsam. Digitale Technik ist so gut geworden, dass ich manchmal selbst überlegen muss wie ich das eine oder andere Motiv aufgenommen habe.
Analoge Fotografie glänzt wenn es um Abzüge geht. Ein analoger Barytabzug unterscheidet sich immer noch von einem hochwertigen Inkjet-Druck. Dieser Unterschied ist aber sehr schwer zu beschreiben. Da ist diese etwas seltsame, fremde Aura die bei manchen Prints aufscheint, als gäbe es eine vor dem Bild schwebende weitere Ebene. Man hat das Gefühl das Bild lebt auf einer zweiten Ebene. Das betrifft aber analoge Abzüge nicht generell. Im Gegenteil, vom selben Negativ lassen sich gute aber leider auch schlechte Abzüge herstellen. Ein wesentlicher Unterschied zwischen analog und digital ist der Arbeitsprozess beim Entwickeln und Printen. Die Arbeit in der Dunkelkammer macht wirklich Spaß, wenn es auch oft sehr anstrengend und mühselig sein kann. Leider verschwinden immer mehr Filme, aber noch schlimmer ist der Verlust von fast allen wirklich guten Baryt-Papieren. Und die machen den maßgeblichen Unterschied!
Die Wahl des Filmformats ist nicht motivabhängig. Der Unterschied dürfte auch kaum bemerkbar sein. Maßgeblich habe ich die 8x10 Kamera angeschafft um Kontaktabzüge zu machen die groß genug sind um sie in Ausstellungen zeigen zu können. Ich liebe Kontaktabzüge! Manchmal denke ich über noch größere Formate nach aber der Aufwand für 11x14 ist schon um ein so vielfaches höher als 8x10, dass ich es bisher gelassen habe.
Berlin: Warum fotografierst du eigentlich überhaupt, wenn du doch auch malen könntest?
Hauser: Ich werde immer wieder gefragt wie sich die Malerei zu meiner Fotografie verhält, oder was ich davon in die Fotografie integriert habe. Oder, wie du, warum ich jetzt fotografiere. Ich denke aber, dass es sich bei mir anders verhält. Ich war nicht irrtümlich Maler der eigentlich von Anfang an Fotograf hätte sein sollen. Ich denke die Malerei war ein Abschnitt in meinem Leben und ich habe sie mit gleicher Begeisterung und Hingabe verfolgt wie jetzt die Fotografie.
Bis zu einem Gewissen Grade hatte ich auch Erfolge und die Arbeiten gefallen mir bis heute sehr gut. Ich halte meine Malereien für durchaus wichtige malerisch/künstlerische Arbeiten. Die Malerei hat mich auch motivisch zur Fotografie hingeführt und nun ist dieses Medium zu meinem künstlerischen Werkzeug geworden.
Berlin: Gibt es Fotografen und Maler, die dich besonders begeistern oder sogar inspirieren?
Hauser: Hunderte, aber das ist immer so ein Ding – wenn man Namen nennt fehlen immer welche. Aber um die Frage etwas zu beantworten. Zur Zeit schaue ich mir gerne Arbeiten von Hilma af Klint, Forrest Bess, G.P. Fieret und Mike Disfarmer an. Meine größte Begeisterung gehört aber der Frühzeit der Fotografie.
Berlin: Ist die künstlerische Fotografie dein Hauptberuf?
Hauser: Die künstlerische Fotografie ist nicht mein Hauptberuf – aber die Fotografie ist es.
Thomas Berlin: Was ist für deine Wahrnehmung als Künstler und damit für die Vermarktbarkeit deiner Bilder besonders wichtig?
Hauser: Alles ist wichtig. Ich glaube um eine relevante Wahrnehmung in der Öffentlichkeit zu bekommen reicht das Internet nicht aus, auch wenn das wahrscheinlich viele anders sehen. Für mich ist das Anschauen von Originalen nach wie vor ein besonderes Erlebnis. Also gehe ich ins Museum oder in die Galerie. Und dort möchte auch ich gesehen werden. Bücher sind offensichtlich sehr wichtig obwohl sie die kleinste Verbreitung finden (wer druckt schon hohe Auflagen im Fotografie- oder Kunstbereich - nur Leute die eh schon sehr bekannt sind). Aber ohne Buch „ist man kein Künstler“. Der gesamte Selfpublish-Bereich und die Foto-Buchmessen sind mir total fremd. Da habe ich keine Leidenschaft für. Wer einmal ein Buch komplett alleine bis zur Veröffentlichung durchgezogen hat weiß was für ein unglaublicher Arbeits- und Zeitaufwand dahinter steckt. Sobald Hilfe und Unterstützung da ist sieht das ganz anders aus. Mein Buch GIRLS SEEN hätte ich ohne Verleger nicht realisieren können. Natürlich schaue ich mir gerne Fotobücher an, die sind ja oft auch als ein eigenes abgeschlossene Projekt konzipiert worden.
In Kategorien wie „Vermarktung“ denke ich nicht. Oder ehrlicher gesagt: denke ich nicht mehr. Als ich jung war gab es nur dieses „wie werde ich berühmt Ding“. Damit war ich extrem unglücklich. Erfolg stellte sich bei mir erst ein als ich das Wort gänzlich vergessen hatte.
Berlin: Nach so vielen Informationen über deine Fotografie wäre es interessant, noch etwas über dich als Mensch zu erfahren. Kannst du bitte dazu noch etwas sagen? Und auch was du gern machst, wenn du nicht fotografierst.
Hauser: Ich lebe mit meiner Frau und unseren zwei Töchtern in Berlin. Die Arbeit und die Familie nimmt soviel Zeit in Anspruch, dass ich nicht viel anderes machen kann. Aber wenn ich Zeit habe und alleine bin hänge sehr gerne vor der Glotze ab und schaue Fussball, Märchenfilme und Hollywood Kino.
Berlin: Vielen Dank für das Interview, Thomas.
Alle Bilder: © Thomas Hauser. - Thomas Hauser ist über seine Website sowie auf Instagram zu finden. Feedback ist hier willkommen.