„Ein gutes Bild wirft Fragen auf, die ich beantworten möchte.“ - Der Fotograf Axel Schneegass im Gespräch mit Thomas Berlin 

Axel Schneegass

Axel ist Fotograf in Leipzig. Mit ihm sprach ich darüber, was er mit seinen Bildern erreichen möchte, seine Arbeitsweise und warum er von der Aufnahme bis zum Print konsequent analog arbeitet.


Thomas Berlin: Axel, du bist mir mit deinen klassisch anmutenden Portraits und Akten aufgefallen, bei denen du mit Unschärfen spielst und einen minimalistischen Ansatz hast. So habe ich dich zumindest wahrgenommen.  Aber damit habe ich ja nur Aspekte deines Stils beschrieben. Was ist dein eigentliches Thema? Und damit meine ich nicht in erster Linie deine Motive vor der Kamera.

Axel Schneegass: Ich denke, es geht mir um das Verborgene im Allgemeinen. Wir Menschen sind Meister der Maskerade, die Art, wie wir uns kleiden, wie wir uns anderen präsentieren und was wir von uns preisgeben. All das folgt einem Bild, als das wir wahrgenommen werden wollen. Ich versuche, einen Blick hinter diese Fassade zu ermöglichen, ohne jedoch Verborgenes offen zu präsentieren. Ich möchte, dass die Betrachter hierdurch einen Zugang erhalten und das Verborgene mit ihren eigenen Gedanken, ihren eigenen Geheimnissen und Erfahrungen füllen. Letztendlich sind wir in diesem Punkt gleich, wir haben alle unsere eigene dunkle Seite.

Thomas Berlin: Wie würdest du deine Bilder beschreiben, ohne über die abgebildeten Motive zu sprechen?

Axel Schneegass: Es sind leise Bilder, die im Verborgenen Fragen für den Betrachter bereit halten. Sei es, durch im Schatten oder Unschärfe verborgene Details oder aber durch inhaltliche Kontraste, die sich nicht auf den ersten Blick erschließen. Mein Ziel ist es, dass jeder Betrachter diese Fragen für sich und aus sich selbst heraus stellt und beantwortet.

Thomas Berlin: Warum sehe ich mehr Frauen als Männer bei dir?

Axel Schneegass: Gute Frage! Ich habe das Gefühl, dass sich Männer im Allgemeinen schwerer damit tun, einen Blick hinter ihre Fassade zuzulassen und wenn, dann häufig auf expressive Art. In diesem Fall geraten Bilder sehr leicht plakativ oder auch "laut". Ich mag es hingegen, mit Andeutungen zu arbeiten. Es fällt mir schwer, Männer zu finden, die diese Kriterien erfüllen - ich würde gern mehr Männer fotografieren, ich bin immer auf der Suche und es gibt auch schon konkrete Pläne.

Zu diesem Bild sagte mir Axel: „Es handelt von zarter und fragiler Schönheit, aber auch von Vergänglichkeit und Selbstverletzung und das in einem Zwiegespräch mit sich selbst. Das waren das Konzept und Ansatz der Umsetzung. Wohin genau diese Idee führt, war mir aber vor dem Shooting selbst nicht vollständig klar.“

Thomas Berlin: Wonach suchst du deine Models aus? Und was hat die Auswahl mit Schönheit zu tun?

Axel Schneegass: Bitte erlaube mir vorab eine Anmerkung zum Begriff "Model". Ich mag ihn nicht besonders. Ein Model ist für mich eine steuerbare Hülle und impliziert ein monetäres und/oder künstlerisches Auftragsverhältnis. Ich möchte eine emphatische Beziehung während eines Fotoshootings aufbauen. Meine Bilder entstehen in Momenten großen Vertrauens, es fällt mir schwer, in diesem Sinn von Modellen zu sprechen, ein wirklich passender Begriff ist mir aber auch noch nicht eingefallen. Mir ist wichtig, dass die Menschen vor meiner Kamera eine innere Geschichte besitzen und bereit sind, sie auf diese Weise zu erzählen. Äußere Bestätigung ist sicher ein Grund für das Selbstvertrauen, sich fotografieren zu lassen, hat für mich aber nur bedingt mit Schönheit zu tun. Ich spreche regelmäßig Menschen an, weil sie für mich eine unglaubliche Schönheit ausstrahlen. Häufig sind sie überrascht und halten sich für wenig fotogen. Schönheit ist ein sehr individueller Begriff. Für mich hat Schönheit sehr viel mit echter Neugier zu tun und Neugier ist für mich unabdingbare Voraussetzung für ein Fotoshooting.

Thomas Berlin:  Kannst du bitte auf die Neugier, die die gerade erwähnt hattest, noch etwas konkreter eingehen? Geht es dabei mehr um deinen Entdeckungsdrang als ein Mitteilungsbedürfnis durch deine Bilder?

Axel Schneegass: Beides bedingt einander. Meine Bilder drücken zu einem wesentlichen Teil auch meine Gefühle und meine Sicht aus. Neugier bedeutet aber auch, sich selbst ein Stück weit in einem anderen Menschen widerzuerkennen und daraus die Basis für eine erzählenswerte Geschichte zu entwickeln. Meine Neugier auf einen Menschen lässt sich also von der Geschichte, die ich erzählen möchte, nicht trennen. 

Thomas Berlin: Wie kann ich mir ein Shooting bei dir vorstellen?

Axel Schneegass: Vor fast jedem Fotoshooting findet ein persönliches Treffen statt. Es geht dabei nicht vordergründig um eine Abstimmung für das Shooting selbst. Ich möchte eine Idee für mein Gegenüber bekommen. Was treibt ihn oder sie an, was finde ich spannend. Meist entwickle ich aus diesem ersten Eindruck eine grobe Idee, einen roten Faden für das Shooting. Zum Termin selbst lasse ich zunächst viel Raum zum Ankommen. Meist reden wir eine ganze Weile und trinken Tee. Erst wenn sich die Nervosität gelegt hat, entstehen nebenbei die ersten Bilder, klassische, initiale Portraits in denen sich mein Model an den lauten Schlag der Pentax gewöhnen kann. Erst dann steigen wir in das Shooting ein. Mir ist wichtig, das Konzept nicht über Situation und Stimmung zu stellen. Meist gibt es dann einen nicht vorhersehbaren Zeitpunkt, ab dem alles passt. Dann vertraue ich auf mein Gefühl und meist öffnet sich dann ein Zeitfenster für intensive Bilder, die so nicht immer konkret geplant waren. Danach essen wir eine Kleinigkeit und wenn es Zeit und Interesse des Modells zulassen, entwickeln wir die entstandenen Filme gemeinsam. Das ist meist ein spannender und faszinierender Abschluss.

Thomas Berlin: Deine Bemerkung, das Konzept nicht über Situation und Stimmung zu stellen, drückt das gut aus. Bedeutet das, dass du dann ohne Konzept arbeitest oder bist du lediglich so flexibel, dein Konzept zu ändern wenn Situation und Stimmung dies hergeben?

Axel Schneegass: Ein Konzept bedeutet nicht, dass ich eine konkrete Idee habe, mein Model so oder so hinzusetzen, in speziellem Licht und penibel darauf achte, dass die Körperhaltung exakt meinen Erwartungen entspricht. Ein Konzept beinhaltet für mich eine geplante Grundstimmung und eine konzeptuelle Vorstellung, diese Stimmung bildlich umzusetzen. Manchmal merke ich auch, dass meine Grundidee nicht zur aktuellen Stimmung passt, dann improvisiere ich und orientiere mich an den aktuellen Gegebenheiten. Das ist aber eher selten.

Thomas Berlin: Was ist ein gutes Bild im Allgemeinen?

Axel Schneegass: Ein gutes Bild funktioniert für mich aus dem Verborgenen. Es wirft Fragen auf, die ich beantworten möchte. Natürlich füllt man die Leerstellen mit seinen eigenen Erfahrungen. Ich erwarte aber von einem guten Bild, dass es dieses Zwiegespräch provoziert.

Thomas Berlin: Und was ist ein gutes Bild aus deiner Kamera bzw. wann bist du mit deinen eigenen Bildern zufrieden?

Axel Schneegass: Ein gutes eigenes Bild ist, wenn es das tief empfundene Gefühl, das Basis für das Shooting war, auch bei späterer Betrachtung immer wieder erzeugt und es meinen eigenen Ansprüchen gerecht wird. Zu plakative Bilder verlieren diese Wirkung bereits nach einiger Zeit. Ich mag Bilder, wenn sie Ecken und Kanten haben, die sich erst später erschließen. Ich beschäftige mich oft immer und immer wieder auch mit meinen eigenen Bildern. Äußerer Zuspruch ist mir für die Bewertung eher unwichtig.

Thomas Berlin:  Die Unabhängigkeit von äußerem Zuspruch ist für einen Künstler eher ungewöhnlich. Was macht dich unabhängig vom Zuspruch oder Feedback der Rezipienten? 

Axel Schneegass: Ich beschäftige mich sehr mit Bildern geschätzter Fotograf*innen oder fotografischer Vorbilder. Eine bewusste Auseinandersetzung mit Kunst schärft den Sinn für Bildsprache, Motiv, Licht und Gesamtkonzeption. Ich bemesse meine Bilder an den gleichen Kriterien, mit denen ich mir die Bilder anderer Fotograf*innen erschließe. Wenn ich meinen Ansprüchen gerecht werde, bin ich zufrieden. Dennoch gehören Gespräche mit Betrachtern und auch die Auseinandersetzung mit Impulsen außerhalb der eigenen Blase unabdingbar zur ständigen Weiterentwicklung dazu. Die verfügbaren Mittel digital-sozialen Zuspruchs aus diversen Social Media Plattformen taugen in der Regel nicht für eine qualitative Auseinandersetzung mit dem eigenen Werk.

Thomas Berlin: Ich würde jetzt gern etwas auf die Bildgestaltung und die Technik eingehen. Kannst du dafür bitte deinen Umgang mit Licht beschreiben? 

Axel Schneegass: Ich habe hierfür kein allgemeines Setup, nur Grundsätze. Am liebsten mag ich natürliches Licht. Nicht aus Überzeugung, sondern weil ich das allgemeine Setting so klein wie möglich halten möchte. Ein großer Aufbau an Lichtformern, das Krachen, mit dem sich Blitzröhren entladen und der Piepton, der neue Bereitschaft signalisiert. All das schafft eine technische Atmosphäre, die meinem Wunsch nach bildlich sichtbarerer Intimität schadet. Wenn für ein Bildkonzept erforderlich, nutze ich Dauerlichter. Ob Kunst- oder natürliches Licht: das Licht muss die Bildaussage stützen und sollte nicht als eigenständiger Part in Konkurrenz zur Bildaussage stehen. Dafür reichen mir in der Regel zwei Lichtquellen.

Thomas Berlin: Arbeitest du auch im Auftrag oder machst du meist freie Projekte?

Axel Schneegass: Wenn es passt und ich den Rahmen sympathisch finde, fotografiere ich manchmal auch Hochzeiten oder Events. Das sind aber Ausnahmen. Meine Portraitreihen sind bislang ausnahmslos freie Arbeiten. Es ist für mich auch schwer vorstellbar, meine Herangehensweise für Portraits mit einem Auftragsverhältnis in Einklang zu bringen. Ich verkaufe darüber hinaus limitierte Printauflagen und gebe Workshops für Filmentwicklung und Printvergrößerungen in der Dunkelkammer.

Thomas Berlin: Ich habe dich als überzeugten Analogfotografen kennen gelernt. Aber es gab bei dir eine Entwicklung weg von der digitalen hin in die analoge Welt. Wie ist es dazu gekommen?

Axel Schneegass: Es gab einen Punkt, an dem ich das Gefühl hatte, ich muss mich zu einzelnen Aufgaben zwingen. Ich kam nach Fototerminen mit Speicherkarten voller Bilder nachhause und konnte mich eine Zeit lang nicht überwinden, sie herunterzuladen und auszuwählen. Alles hatte eine Geschwindigkeit und technische Dimension angenommen, in der ich mich nicht mehr wiedergefunden habe. Meine Frau hat mir dann geraten, mich der technischen Fließbandarbeit zu entziehen und es einmal analog zu probieren. Und als guter Ehemann habe ich auf meine Frau gehört (lacht).

Thomas Berlin: Ging es dann konsequent weiter oder hast du dann erst einmal gemischte, d.h. digital-analoge Shootings gemacht und später den Analoganteil immer weiter hochgeschraubt?

Axel Schneegass: Mein erstes Shooting mit einer analogen Kamera fand hybrid statt. Ich hatte Probleme mit meiner Kamera und habe alle Rollfilme vor Aufregung verkehrt herum in die Kassette eingelegt. Es ist also nicht ein einziges belichtetes Negativ entstanden. Gleichzeitig habe ich mich mit den digitalen Bildern nicht wohl gefühlt, so dass ich die digitale Kamera ab dem nächsten Shooting zuhause gelassen habe. Auch lenkt die mit einer digitalen Kamera präsente Ergebniskontrolle von einer Konzentration auf das eigene Gefühl ab und verändert die Ergebnisse. Das möchte ich vermeiden. Wir haben das Shooting übrigens wiederholt und es sind Bilder entstanden, die für mich bis heute eine große Rolle spielen. 

Thomas Berlin: Fotografierst du heute zu 100% analog? Wie haben sich deine Arbeit und deine Ergebnisse dadurch verändert?

Axel Schneegass: Durch die Frage entsteht vielleicht ein falscher Eindruck. Analoge Fotografie ist für mich ein prozessualer Ansatz, mich selbst zu entschleunigen und meinem Gefühl zu vertrauen. Dadurch hat sich meine Einstellung zu Fotografie, der Raum, den ich den Menschen vor meiner Kamera und meinen Gefühlen lasse, verändert. Und das ist es, was meine Arbeiten verändert hat. Ich empfinde meine Fotografie seither als gefühlvoller, ausdrucksstärker und berührender. Für mich persönlich hat sich auch die Wertschätzung gegenüber dem eigenen Schaffen deutlich erhöht. Aber wer all das auch mit einer digitalen Kamera schafft, hat sicher ein leichteres Leben. Ich schaffe es nur auf analoge Weise. Ich besitze auch digitale Kameras, nutze sie aber anlassbezogen nur für Aufträge, die sich analog schwer umsetzen lassen.

Thomas Berlin: Manchmal habe ich den Eindruck, dass analoge Fotografie ein Hype geworden ist. Ist das wirklich so wichtig bzw. kann man nicht auch digital einen analogen Look erzeugen? Aber der analoge Look scheint bei dir ja gar nicht der entscheidende Punkt zu sein. 

Axel Schneegass: Ich finde es schön, wenn Fotografen Filmfotografie wieder für sich entdecken. Egal aus welchen Gründen. Es hilft, eine Industrie am Leben zu halten, in der in regelmäßigen Abständen ein lieb gewonnenes Produkt auf immer und ewig verschwindet. Ich hoffe also, es bleibt nicht bei einer Modeerscheinung. Einen anlogen Look gibt es aber für mich nicht. Das meist digitalisiert präsentierte Ergebnis lässt sich auch mit einer digitalen Raw-Datei reproduzieren. Für mich schafft der entschleunigte, bewusste und gefühlvollere Prozess andere Ergebnisse, die zumindest ich mit einer digitalen Kamera nicht hätte ausdrücken können. Wenn man einen Silbergelatine Print auf Barytpapierträger mit einem Digital oder Offsetdruck vergleicht, gibt es sicher noch einmal darüber hinausgehenden Diskussionsbedarf. 

Thomas Berlin: Zu diesem hinausgehenden Diskussionsbedarf bezogen auf die Prints kommen wir jetzt: Bei dir hört die Fotografie ja nicht mit der Belichtung des Films auf, sondern du entwickelst selbst. Ich kenne viele Analogfotografen, die ihre Negative einscannen oder einscannen lassen und von da an digital weiter arbeiten. Du bist ja eher kein Verfechter dieser hybriden Arbeitsweise sondern machst Ausbelichtungen auf Fotopapier. Was spricht dafür, den analogen Prozess bis zur Ausbelichtung so konsequent durchzuhalten?

Axel Schneegass: Das Gefühl, etwas besonderes zu sein... nein im Ernst. Ich hasse scannen. Und ich mag es nicht, mich selbst immer wieder zu hinterfragen und zu bremsen, um nicht auch weniger guten Motiven mit etwas mehr Bearbeitung Bedeutsamkeit einzuhauchen. Es ist die konsequente Fortsetzung der Entschleunigung bzw. Reduktion und damit auch eine qualitative Selektion. Und es steigert durch die investierte Zeit, die Gedanken und bewusste Planung den Bezug zum eigenen Werk und auch die Befriedigung hinsichtlich der investierten Zeit. Für mich ist es ein rundum zufriedenstellenderer Prozess. Und darum geht es doch, wen man einer Leidenschaft folgt.

Thomas Berlin: Das bedeutet für dich, dass u.a. die Zeit in der Dunkelkammer und der Kampf um den in deinem Sinne ausgelichteten Print auf Fotopapier die Bedeutsamkeit fördert? Aber ein schlechtes Bild wird nicht dadurch bedeutsam, wenn man viel Zeit darin investiert ….

Axel Schneegass: Nein, das meinte ich auch nicht. Aus den meisten Shootings entstehen Bilder, die eine perfekte Umsetzung von Können, Idee und Stimmung darstellen. Und dann gibt es noch gute vielleicht sogar sehr gute Bilder, aber mit Abstrichen oder kleineren Unstimmigkeiten. Im digitalen Prozess war ich aufgrund selbst auferlegter medialer Präsenz immer versucht, solchen Bildern mit mehr Bearbeitungsaufwand auch einen Hauch des Bedeutsamen zu geben. Analog fehlt mir hierfür schlicht die Zeit und ich muss mich prozessbedingt auf die wirklich besonderen Ergebnisse konzentrieren. Der Prozess hindert mich also daran etwas zu erschaffen, was nicht von Beginn an da ist. Das verleiht den Ergebnissen für mich auch etwas Echtes, Wahrhaftiges.

Thomas Berlin: Wie unterscheidet sich der klassisch ausbelichtete Print auf Fotopapier von einem digitalen Pigmentdruck wenn man das Bild in der Hand hält?

Axel Schneegass: Die Schwärzen in einem ausgelichteten Print bestehen aus ausgefälltem Silber bestenfalls auf einem Barytpapierträger. Die Silberhalogenide befinden sich in einer homogenen, lichtaktiven Schicht auf dem Papierträger. Pigmentdruckverfahren bringen häufig eine Rasterung, strukturelle Oberflächenveränderungen oder Versatzeffekte bei Verläufen mit sich. Die chemischen Innovationen bei Fotopapieren sind weitestgehend ausgereizt. Sowohl Digital- als auch Offsetdruckverfahren werden immer weiter optimiert - guter Offsetdruck kommt qualitativ schon sehr nah an einen Silbergelatineprint heran. Für eine Bildaussage ist der Unterschied nach meinem Dafürhalten nicht wichtig.

Thomas Berlin: Und wenn der visuelle Unterschied nicht wichtig ist, geht es wieder um den Prozess dahin?

Axel Schneegass: Ja, das ist aber dann eigentlich nur für mich selbst relevant. Interessanter Weise gibt es aber auch Kunstliebhaber, die genau diesen Aufwand auf der Schaffensseite wünschen, um sich für den Kauf eines Prints zu entscheiden. Das finde ich faszinierend.

Thomas Berlin: Auch bei ausbelichteten Prints gibt es Unterscheide. Du hast für das Lithprintverfahren eine Leidenschaft entwickelt. Kannst du bitte beschreiben, was das ist?

Axel Schneegass: Der Entwickler sorgt bei einem analogen Print für die Umwandlung lichtaktivierter Silberhalogenide in ausgefälltes Silber, welches für die Schwarzzeichnung auf dem fertigen Print verantwortlich ist. Der Lithentwickler zeichnet sich dadurch aus, dass er sich bei dieser Umwandlung im Bereich seiner eigenen Abbauprodukte verstärkt. Der Kontrast wird also einseitig in Richtung der Tiefen und Schwärzen exponentiell verstärkt. Hinzu kommt ein gröberes Korn und eine Tönung, die von Entwicklungszeit, Papier und Entwickler abhängig ist. Für mich verstärkt diese Art der Ausbelichtung meinen Wunsch nach Bereichen bewusst fehlender Details. Ich mag es, wenn ein Bild Geheimnisse bereit hält. 

Thomas Berlin: Das ist spannend. Und das geht nicht so gut mit Fotopapieren harter Gradation?

Axel Schneegass: Nein. Die Tonwertverteilung ist trotz ähnlicher Charakteristik eine andere. Dazu kommen die deutlich gröbere Kornentwicklung, wolkige Ausbildungen der Tiefen und eine sanfte, einzigartige Tonung. Das alles nimmt dem fertigen Bild die saubere Präzision und unterstützt durch Abstraktion die Fantasie der Betrachtenden. 

Thomas Berlin: Was macht für dich den Reiz des Lithverfahrens aus und hast du Lith-Vorbilder?

Axel Schneegass: Es ist ein spannender Prozess. Es gibt auch bei perfekten Vorlagen keine planbare Reproduktion einmal geschaffener Ergebnisse. Es kann frustrierend sein, aber die Mühe lohnt und man schafft einzigartige Unikate. Ein Meister des Lith ist z.B. Anton Corbijn. 

Thomas Berlin: Das Verfahren setzt viel Übung und auch das richtige Material voraus, oder? Wie sieht es damit aus?

Axel Schneegass: Moderne Fotopapiere sind mit dem Lith-Verfahren weitestgehend inkompatibel. Es gibt einige Papiere, die zumindest funktionieren, aber sie sind für mich qualitativ unbefriedigend. Es gibt aber häufig noch alte Fotopapiere aus privaten Dunkelkammerauflösungen zu kaufen, die mit diesem Prozess hervorragend funktionieren z.B. ORWO oder Oriental Seagull Papiere. Diese Papiere sind mittlerweile sehr teuer und man weiß nicht wirklich, welche Qualität man erwarten kann. Mein Vorrat reicht von jetzt an sicher noch ein paar Jahre, aber ich bin immer auf der Suche, damit dies so bleibt.

Thomas Berlin: Welche Fotografen inspirieren dich generell? Und was haben diese Fotografen gemeinsam?

Axel Schneegass: Ich mag Fotograf*innen, die mit ihren Bildern spannende Geschichten erzählen, oder deren Fotografie eine starke Empathie kennzeichnet. Ich folge hier keinen stilistischen Neigungen. Anton Corbijn, Irving Penn, Gregory Crewdson, Robert Capa, Esther Haase, Robert Doisneau, Joe Gantz, Günter Rössler und Judy Olausen sind einige faszinierende Fotograf*innen, die immer einen Bildband wert sind. Bei Man Ray und Lee Miller fasziniert mich die zwingende Leidenschaft zur Fotografie und bereits die Erkenntnis in den 1920er Jahren, dass technische Innovationen und schärfere Objektive kein bestimmender Faktor für bessere Bilder sind.

Thomas Berlin: Wenn du auf eine sehr lange Reise nur einen Bildband mitnehmen könntest, welcher wäre das? Warum?

Axel Schneegass: Oh, das ist schwer. Vielleicht Anton Corbijns 1-2-3-4. Ich liebe es, wie er sich teils exzentrischen Personen auf so intime Distanz nähern konnte und die Entwicklung, die man in der Beziehung zu seinen Motiven über die Jahrzehnte auf den Bildern erkennen kann. Fotografie ist oft viel mehr Psychologie und Empathie als technisches Vermögen.

Thomas Berlin: Das Ergebnis deiner Arbeit, also den Print, verkaufst du auch seit nicht allzu langer Zeit. Welche Bildmotive und Bildgrößen sind denn besonders beliebt?

Axel Schneegass: Das lässt sich nicht bestimmen. Ich versuche, mit meinen Bildern zu berühren und ein Zwiegespräch anzuregen. Entsprechend individuell fühlen sich auch die Betrachter angesprochen. Überrascht hat mich das Interesse an reinen Portraits. Auch hinsichtlich der Bildgröße lässt sich keine Vorliebe ausmachen.

Thomas Berlin: Wie sieht es mit Ausstellungen oder Buchprojekten aus?

Axel Schneegass: Ausstellungen sind für mich die beste Art, Bilder zu präsentieren. Da ich zu jedem Bild auch mindestens einen entwickelten Print besitze, versuche ich so oft es geht auszustellen. Leider ist das pandemiebedingt nicht unbeschwert möglich. Ich vermisse Vernissagen und den persönlichen Austausch über Kunst sehr. Im Mai 2022 erscheint mein Buch „Analogie“. Neben Bildern aus vier Jahren enthält es einen guten Überblick über die Motivation meines Wechsels in die analoge Fotografie und die damit verbundenen Erfahrungen, Mühen und Veränderungen.

Thomas Berlin: Nach so vielen Fragen zur Fotografie wäre es interessant etwas über dich außerhalb der Fotografenrolle zu erfahren. Was machst du in deiner Freizeit gern, wenn du nicht fotografierst?

Axel Schneegass: Auch wenn man es mir mittlerweile kaum noch ansieht, ich fahre für mein Leben gern Rad und laufe. Ich liebe es aber auch, einen guten Film gemeinsam mit meiner Frau bei einem Glas Rotwein zu genießen. Neben einem Beruf, den berechtigten Ansprüchen meiner Frau und meiner Tochter, bleibt nach Fotografie und Dunkelkammer leider kaum noch Zeit dafür.

Thomas Berlin: Vielen Dank, Axel. Das waren spannende Einblicke. Mochtest du zum Schluss noch etwas sagen?

Axel Schneegass: Vielen Dank für das spannende Gespräch. Man sollte von Zeit zu Zeit versuchen, Gedanken und Überzeugungen in Worte zu fassen, das schärft den Sinn dafür, ob man sich auf dem richtigen Weg befindet. Und dazu gehört auch die Antwort auf die Frage, warum tun wir das, was wir tun. 


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