Polaroid Passion?
Manche Vorurteile sind einfach wahr. Die technische Qualität der Polaroid- oder Instax-Fotos ist schlechter als die der "normalen" Fotos. Das gilt insbesondere für Polaroid-Bilder aber auch für die aktuelle Instax-Familie von Fujifilm. Die Farben sind nicht ganz echt, Detailschärfe und Kontrastumfang sind gering und die Bilder sind klein. Das hält viele Menschen nicht davon ab, Sofortbilder zu machen und etwa 1-2 Euro Filmkosten pro Bild zu akzeptieren. Einige Menschen fühlen sich sogar von der technischen Unzulänglichkeit des Sofortbilds angezogen.
Die Instax-Kameras von Fuji gehören, gemessen an den verkauften Stückzahlen, zu den erfolgreichsten Kameras auf dem Markt. Google findet über 100 Millionen Einträge für „Polaroid“ und fast 20 Millionen für den vergleichsweise neuen Begriff „Instax“. Auf Instagram gibt es über 9 Millionen „polaroid“-Hashtags und 2 Millionen „instax“-Hashtags. Ich sehe unter anderem zwei Aspekte, die mit zu den Gründen für die (wieder) hohe Bedeutung des Sofortbildes gehören.
Erstens ist die sofortige Verfügbarkeit physischer Bilder verlockend. Denn im Vergleich zu Smartphone-Bildern, die ebenfalls einfach zu teilen sind, ist beim Sofortbild der haptische Aspekt wichtig. Die im Wortsinn greifbare Präsenz und physische Übertragbarkeit des Bildes übertrumpft offenbar das virtuelle Erlebnis, eine (qualitativ viel bessere) Bilddatei via Smartphone zu teilen. Für diese Zwecke eignen sich ebenfalls digitale Speicherformen als Vorstufe für den Betrieb von mobilen Printern für Sofortbildfilm. Ob der Sofortbild-Print auf Basis einer digitalen Ausgangsdatei immer noch dieselbe emotionale Wirkung entfaltet, ist eine andere Frage. Für eine Vertiefung dieses Aspekts ist das Buch "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit" von Walter Benjamin aus dem letzten Jahrhundert zu empfehlen.
Zweitens ist das Sofortbild ein Medium, das immer mehr kreativ orientierte Fotografen nutzen. Auch wenn diese Zielgruppe für die Verkaufszahlen unbedeutend sein dürfte, ist sie für mich die eigentlich interessante. Es ist eine wachsende aber immer noch kleine Minderheit, der der künstlerische Aspekt wichtig ist. Auch kunsthistorisch ist das nicht ganz uninteressant, denn Sotheby's hat bereits mehrfach Polaroids versteigert, z. B. von Robert Mapplethorpe, Paolo Roversi und William Wegman. 2010 wurde die Sofortbildsammlung der Firma Polaroid von Sotheby's für ca. 12,5 Millionen Dollar verauktioniert, was durchschnittlich 26.000 USD pro Polaroidbild entsprach. Kunstbuchhandlungen führen immer noch Bildbände mit Polaroidbildern. Und deren Zahl wächst, wie Marc Lagrange, Reneé Jacobs und Ifa Brand zeigten, um nur einige wenige zu nennen.
Andere Künstler, die Polaroids verwendet hatten, sind Andy Warhol, David Hockney, Stefanie Schneider und Wim Wenders. Andy Warhol ist bekannt für seine Serie von Polaroid-Selbstporträts und Porträts von Prominenten. David Hockney gestaltete eine „Composite Polaroid“-Serie (1982), in der er Segmente einer Szene fotografierte und diese Polaroids zu einer Komposition zusammensetzte. Stefanie Schneiders bevorzugtes Revier ist der amerikanische Westen, der als Location für verblasste und verträumte Filmstills diente. Ihre Fotografien auf abgelaufenen Polaroid-Sofortbildfilmen sind von chemischen Mutationen beeinflusst. Wim Wenders verwendete in seiner Neuerscheinung „Instant Stories“ kommentierte Polaroidbilder als Reisenotizen.
Was machte und macht das technisch oft unzureichende Sofortbild für Künstler überhaupt reizvoll? Die Gründe dürften verschieden sein, so dass ich lediglich meine subjektive Sichtweise zeigen möchte: Das Sofortbild (die Begriffe Sofortbild, Polaroid oder Instax verwende ich hier synonym) ist physisch einzigartig. Im Gegensatz zu einem digitalen Bild wird es analog belichtet und entwickelt. Auch wenn der Entwicklungsvorgang durch Temperatur beeinflusst werden kann, ist das Bild anschließend kaum noch veränderbar (von physischen Manipulationen wie Emulsion Lift etc. abgesehen). Natürlich können wir es scannen und eine digitale Datei erzeugen, aber der Scan übernimmt emotional nicht für jeden Rezipienten die Rolle des physischen Originals. Die Alleinstellung des alleinigen Polaroid-Originals entfällt auch bei bestimmten Sofortbildkameras, die Bilder digital speichern, optimieren und schließlich beliebig viele Mehrfachausdrucke auf Sofortbildfilm ermöglichen. Das ist praktisch, hat aber nicht den „Kunstwerk“-Charakter eines einzigartigen Fotos, mit dem der Betrachter manchmal emotional mehr verbunden ist als lediglich mit dem auf dem Bild Sichtbaren.
Polaroid- und Instaxbilder haben den typischen Rahmen, der auch für Bildunterschriften und Signaturen verwendet werden kann. Insbesondere damit kann man die Stimmung, die mit Polaroids verbunden sein soll, verstärken. Denn die direkte analoge Belichtung, gefolgt von der Signatur des Fotografen oder Models, bedeutet eine physisch greifbare Einzigartigkeit der Arbeit. Wie einzigartig das Motiv oder die Komposition jeweils ist, ist eine andere Frage und natürlich kompensiert die Einzigartigkeit nur selten eventuell fehlende Bildinhalte oder Gestaltungsdefizite.
Die Unmöglichkeit einer nachträglichen Manipulation des Originals macht diese Art von Foto zu einem unveränderlichen Ergebnis. Das entstandene Bild ist Entwicklungszufällen von (evtl. abgelaufenen) Filmen, Licht- und Kälteeinflüssen ausgesetzt. Vielleicht also das perfekte Filmmaterial für Menschen mit Hang zu schicksalhaften Szenen?
Der Begriff „technische Unzulänglichkeit“ ist für Romantiker vielleicht etwas zu hart, um die technische Qualität zu beschreiben. Ich versuche es daher so: weich, magisch, mysteriös, nebulös, interpretierend, zufällig, bezaubernd, unerwartet, alternative Farben, schicksalhaft, einzigartig, wetterabhängig. Dabei steht nicht die exakte Kopie des Motivs im Vordergrund, sondern vielmehr geht es um Stimmung und Zufall. Der Überraschungseffekt der chemischen Entwicklungsprozesse (bei Polaroids eher meiner Meinung nach volatiler als bei Instax) wird zumindest in Kauf genommen, meist sogar gewollt.
Für mich ist auch die Handhabung nach der Aufnahme ein Bestandteil der Sofortbildfotografie. Denn in meinen Model Shootings mache ich oft auch einige Polaroids und binde manchmal das Model nach dem Shooting ein, indem das Model das Bild signiert oder ein Statement auf den Rahmen schreibt. Damit unterstreicht es den einzigartigen Charakter des Fotos, wie oben bereits ausgeführt. Wenn anstelle des Fotografen plötzlich das Model signiert, nimmt sich der Fotograf bewusst etwas zurück und das Model prägt das finale Bild stärker mit. Nicht nur durch das Posing während des Shootings, sondern auch danach durch die Signatur verleiht das Model dem Bild zusätzlich Persönlichkeit.
Wo es auf Details und dokumentarische Zwecke ankommt, sind Sofortbilder natürlich weniger geeignet. Daher sprechen wir hier nur über die kreativen Aspekte. Die Wirkung von Sofortbildern ist motiv- und kontextabhängig. Wie andere Formen der Fotografie betrachte ich die Sofortbildtechnik als eines von mehreren Werkzeugen, aber nicht als Religion und Selbstzweck. Abhängig von den Zielen des Fotografen passt ein Werkzeug mal mehr und mal weniger. Es auch richtig, unterschiedliche Werkzeuge zu nutzen. Wenn das Bild z. B. durch den Polaroidlook verbessert werden soll oder auf den Zauber chemischer Zufallsprozesse gesetzt wird, kann ein Sofortbild der richtige Weg sein. Zudem ist im kreativen Bereich eine rein sachliche Betrachtung eher hinderlich. Denn ohne Emotion und Stimmung ist das Instant-Abenteuer wahrscheinlich zum Scheitern verurteilt. Mit Emotion und Stimmung jedoch stehen uns mit der Sofortbildfotografie zusätzliche Wege neben der "normalen" Fotografie offen.
Weitere Beispiele meiner Polaroid-Fotografie sind hier zu finden. Feedback ist hier willkommen.
Alle Bilder: © Thomas Berlin / Do not copy!