"Ich versuche das tiefste Gefühl meiner Seele in Fotografie zu übersetzen." - Erwin Olaf im Gespräch mit Thomas Berlin
Thomas Berlin: Erwin, du bist der aktuell bekannteste Fotograf der Niederlande. Preisgekrönt und im Amsterdamer Rijksmuseum mit dem Ritterschlag versehen. Also sehr viel Anerkennung als Fotokünstler. Dennoch war deine Karriere am Anfang eher auf Texte ausgerichtet. Du hast Journalistik studiert. Warum hast du dich relativ schnell danach von der Schrift zum Bild hinentwickelt?
Erwin Olaf: Ich fand es immer sehr schwierig, zu schreiben und mich auszudrücken. Auf der Schule für Journalismus habe ich schon gefühlt, dass ich nicht das richtige Talent dafür hatte. Ich kann einen Artikel schreiben oder ein Interview machen, aber es kommt nicht von Herzen. Und dann hatte mir einer eine Nikon FM gegeben und sagte: „Versuche es mal.“ Damit konnte ich mich sofort viel besser ausdrücken.
Thomas Berlin: Also bist du deinem Herzen gefolgt.
Erwin Olaf: Ja, aber das war noch keine künstlerische Fotografie, das war Journalismus. Und es ging schneller als Schreiben. Ich fand es auch unglaublich interessant, in der Dunkelkammer zu sein und dann in Schwarzweiß zu arbeiten. Das hatte etwas von Surrealismus, die Wirklichkeit in Schwarzton und Weißton abzubilden. Das alles fand ich von Anfang an viel interessanter als Schreiben.
Thomas Berlin: Als Journalist vermittelt man Informationen. Und ich komme jetzt auf deine künstlerischen Bilder; die sind schon sehr erzählerisch und enthalten auch viele Informationen. Einerseits reißen sie viel an, aber ich stehe davor und frage mich oft, was bedeutet das eigentlich? Und wenn ich zweimal, dreimal auf dein Bild schaue mit einem zeitlichen Abstand, kann ich mir wieder eine andere Geschichte überlegen. Ist das beabsichtigt, dass wir Rezipienten uns unsere eigene Geschichte machen? Und möglicherweise jeder seine eigene?
Erwin Olaf: Absolut. Absolut. Als ich jung war, war es noch so, dass ich eine vollständige Geschichte erzählen wollte. Diese Erzählung war praktisch eine Einbahnstraße. Später, so um 2003, fühlte ich aber das Verlangen, einen Dialog anzufangen. Dazu gehört, dass ich die Geschichte auch selbst nicht immer gleich kenne. Weißt du, es ist nicht so, dass ich ganz genau weiß, was ich fotografiere. Ich versuche das tiefste Gefühl in meiner Seele, um es ein bisschen dramatisch zu sagen, in Fotografie zu übersetzen. Ich dachte immer, um richtige Kunst zu machen, da muss man über seine eigenen tiefen Gefühle reden.
Ich hatte das Glück, dass ich Hans van Manen, den Choreographen, getroffen hatte, als ich 24 war. Das war in 1983. Und er hat gesagt: „Du kannst alles im Auftrag machen, immer. Aber du musst auch freie Arbeiten machen, deine eigenen Gefühle fotografieren.“ Und ich dachte, na ja, der alte Mann, Choreograph und so viel Erfolg, da muss ich mal ran. Da habe ich dann mit freien Arbeiten angefangen und ich bin so dankbar dafür, weil ich bis dahin nur im Auftrag fotografiert hatte. Und dadurch habe ich auch ein Archiv meiner Gefühle geschaffen, wenn man es so nennen möchte. Ab 1983 kann ich an meinen eigenen Arbeiten sehen: Das bin ich! Das ist ein fotografisches Tagebuch.
Thomas Berlin: Das bedeutet, du bringst dein eigenes tiefe Gefühl in die Bilder ein, ohne im Moment der Aufnahme schon genau zu wissen, was es eigentlich ist. Also, hast du die Fragen, die deine Bilder aufwerfen, oft noch gar nicht für dich beantwortet?
Erwin Olaf: Genau, das ist ja das Gute daran. Wer bin ich? Was denke ich? Wohin gehe ich? Manchmal fühlt man nur Unruhe. Zum Beispiel die Serie „Im Wald“: Ich weiß jetzt noch nicht, welche Gefühle es sind, denn es ist noch so nah. Aber ich weiß, die Atmosphäre in meinem Körper und in meinem Kopf habe ich in Bilder übersetzt. Natürlich sind da kleine, oder große Themen drin, die ich kenne und die mich beschäftigen im Leben. Aber die vollständige Geschichte ist auch für mich noch ein Rätsel.
Thomas Berlin: Manchmal versuchen Künstler, ihre Arbeiten bis ins Detail zu erklären. Das wirkt auf mich dann wie eine Marketingsprache.
Erwin Olaf: Ja, das ist, wenn man das Publikum mit etwas füttert, bis es sagt: „Ah ja, jetzt sehe ich, was Sie meinen“.
Thomas Berlin: Ist der Zauber weg, wenn man zu viel erklärt?
Erwin Olaf: Wenn ich eine ganze Ausstellung habe, wie jetzt in München, muss ich schon darüber reden. Und natürlich weiß ich einige Geschichten und Anekdoten. Aber wenn meine Arbeit gelungen ist und ich meine eigene Ausstellung besuche, frage ich mich, warum habe ich es gemacht? Was war das Gefühl? Was wollte ich damit kommunizieren? Ja, die Atmosphäre weiß ich, aber nicht eine konkrete Antwort. Ist das jetzt sehr irritierend?
Thomas Berlin: Überhaupt nicht. Das macht die Bilder aus Sicht des Betrachters vielleicht auch interessanter, als wenn jemand ganz klar erklärt, was es ist und was es nicht ist. Da bleibt ja wenig Spannung übrig, wenn man sich mit dem Bild beschäftigt.
Erwin Olaf: Ich habe in diesen Sommer nach Jahren wieder einen Roman gelesen. Ich war in meinen Ferien und sagte, wie schön ist das denn? Das ist kein Netflix, das ist kein Kino, wo man die Charakter schon sieht und eingewöhnt ist. Sondern man hat ein Buch und die Traumwelt fängt an. Person Nummer Eins sieht etwas anderes, als Person Nummer Zwei. Und so ist es auch, mit der Malerei, zum Beispiel mit den Abstraktionen von Rothko. Auf den war ich eifersüchtig, weil er in mir so tiefe Emotionen wecken konnte, während ich selbst damit so viel Mühe in meiner Fotografie habe. Man schaut eine abstrakte Malerei an und fühlt Emotionen. Das ist doch wunderbar. Und das ist auch mit Literatur und mit Musik so.
In meinen freien Arbeiten versuche ich so etwas, wie in meiner Fotoserie „Grief“, bei der es mir gelungen ist, sehr nah an mein Herz zu kommen. Das sind verschiedene Geschichten, die man darin finden kann, von den Sechziger Jahren oder von den individuellen Personen, die wir in der Serie sehen. Und es sind auch die Geschichten der Rezipienten, es ist also nicht nur eine einzige Geschichte.
Thomas Berlin: Du hattest das Thema Malerei angesprochen. Sind deine Bilder oder deine visuellen Vorstellungen auch durch die Malerei inspiriert?.
Erwin Olaf: Ja, sehr.
Thomas Berlin: Wie ist denn dein Verhältnis zur Malerei? Mal unabhängig von der Fotografie? Dass sie Emotionen wecken kann, hattest du ja schon ausgeführt.
Erwin Olaf: Ich hatte vor langer Zeit, das ist schon zwanzig Jahre her, einen besten Freund. Er ist Maler. In jungen Jahren haben wir einander erstmals getroffen, als wir beide 18 waren. Und dann haben wir uns fünfzehn Jahre lang ein Studio geteilt. Er hatte darin sein Atelier, ich mein Fotostudio. Und deswegen bin ich oft mit ihm ins Museum gegangen, um Malerei anzuschauen. Und inzwischen mache ich das jedes Mal, wenn ich in einer anderen Stadt bin oder in einem anderen Land. Das inspiriert mich. In den ersten fünf bis sieben Jahren war ich unglaublich inspiriert von Fotografen wie Newton oder Joel-Peter Witkin. In den Jahren danach habe ich mehr Inspiration durch Filme, Malerei und Literatur gehabt. Aber Malerei ist am interessantesten für mich.
Thomas Berlin: Und welche Epoche der Malerei ist besonders interessant?
Erwin Olaf: Das kann alles sein. In der Serie „Grief“ sind auch Elemente von Mondrian enthalten, wegen der großen Fenster. Als ich das erste Mal in das Studio hereintrat, dachte ich, das sind beinahe Mondiran-Kompositionen.
Oder nehmen wir die Natur. Man hat lange Zeit nichts anderes darin gesehen, als deutsche Romantiker, also Malerei und Symbolik aus den 19.Jahrhundert oder Ende des 18. Jahrhunderts. Das habe ich darin auch gesehen, aber das berührte nicht meine Seele. Bis wir südlich von München in den Wald gegangen sind. Roger Diederen von der Kunsthalle München hatte das zusammen mit zwei Förstern organisiert. Dabei habe ich die Natur Deutschlands gesehen und dachte, das ist so unglaublich schön, dass ich mir das romantische Gefühle der Künstler des 19. Jahrhunderts gut vorstellen konnte. Und dann habe ich das übersetzt in meine eigenen Ideen. Und dachte, jetzt kann ich etwas damit anfangen und bin in die Malerei des 19. Jahrhundert eingestiegen. Das hat mich dann inspiriert für meine Themen.
Thomas Berlin: Du hast die romantische Sicht in deiner Fotografie sogar weiterentwickelt. Einerseits der Blick zurück in die Romantik mit Caspar David Friedrich zum Beispiel, aber auf der anderen Seite hast du dann zeitgenössische Elemente aufgenommen, das heißt man sieht deinem Bild an, dass es von heute ist. Beispielsweise der Junge, der mit der Plastiktüte auf dem Stein steht.
Erwin Olaf: Ich hatte mich ja für meine Bildserie „Rain“ erstmals durch die Fünfziger Jahre inspirieren lassen. Ich bin dann oft für Projekte in diese Zeit zurück gegangen. Aber irgendwann dachte ich, jetzt wird es zum Klischee und ich muss zurück in meine eigene Zeit. Denn ich lebe jetzt und muss damit arbeiten. Ich wollte nicht, dass es heißt, das ist Erwin Olaf, weil es die Sechzigerjahre sind. Das fände ich schrecklich.
Thomas Berlin: Diese Wiedererkennbarkeit?
Erwin Olaf: Ja. (lacht)
Thomas Berlin: Man muss die nicht haben?
Erwin Olaf: Nur für Geld oder für Anerkennung. Weil man denkt, dass die Zuschauer faul oder dumm sind. Man muss arbeiten, wenn man meine Arbeit anschaut, finde ich. Jedes Mal aufs Neue.
Thomas Berlin: Man entwickelt sich ja als Person auch weiter und dann wäre es schade, wenn man das nicht in die Fotografie einbringen würde.
Erwin Olaf: Absolut. Ja. Ich arbeite natürlich nicht alleine und dann überlege ich die Stylingthemen und ich will die Kleidung von heute, aber keine von morgen. Das sollte keine Fashion Photography werden. Es sollten normale Leute von heute sein.
Thomas Berlin: Weil du gerade die Leute am Set ansprachst. Du arbeitest ja mit Set-Designern, MUA und anderen Leuten. Wie kann man sich ein Shooting für ein Projekt bei dir eigentlich vorstellen? Wie groß ist das Team und wie geht ihr vor? Du bist ja nicht der stille Fotograf, der einsam ein Werk umsetzt. .
Erwin Olaf: Ich still? Nein (lacht). Das ist oft ein bisschen wie ein kleiner Spielfilm. Das sind meistens zwischen 15 - 20 Leute. Ich versuche es, so klein wie möglich zu halten. Aber man braucht auch ein Kernteam, das ist für mich wichtig, um die Idee zu überwachen. Ich bin wie ein Regisseur und oft gibt es auch viel Einfluss vom Kernteam.
Thomas Berlin: Das Kernteam teilt also die künstlerische Vision und ihr arbeitet gemeinsam an dem Thema?
Erwin Olaf: Da ist immer so. Zuerst gibt es mit dem Kernteam ein Gespräch über die Idee. Dann mit dem Gesamtteam über Make Up, Haare und natürlich Styling und Set-Design. Manchmal habe ich eine kleine Zeichnung gemacht. Und dann geht das Team nach Hause und kommt zurück mit visuellen Vorstellungen. Und dann heißt es ja, nein, ja, noch überlegen …. Später auf dem Set muss man immer klären, was will ich kommunizieren? Was wollen wir alle zusammen? Denn die Ästhetik kann am Set manchmal schnell die Überhand gewinnen.
Thomas Berlin: Die Ästhetik kann die Oberhand gewinnen?
Erwin Olaf: Ja, das ist meine große Gefahr.
Thomas Berlin: Ganz viele Fotografen suchen die Ästhetik geradezu, aber dir ist offensichtlich der Inhalt oder das, was du transportierst, mindestens genauso wichtig wie die Ästhetik?
Erwin Olaf: Ja, es soll immer Hand in Hand gehen. Ich liebe Technik und oft denkt man, Olaf Erwin ist nur ein Ästhet. Aber ich finde Ästhetik ist eine großartige Verpackung für den Inhalt und das Thema, das ich erzählen will. Trotz Ästhetik muss man bei mir gut schauen. Man denkt, man sieht eine perfektes Welt und dann ist da ein kleiner Kratzer. Da muss man Unruhe fühlen.
Thomas Berlin: Ein kleiner Störer?
Erwin Olaf: Ja. Aber ich will nicht sagen was es ist und wo es ist. Nein, das ist ein Dialog. Das muss man selbst herausfinden.
Thomas Berlin: Vielleicht wirken deine Models auf mich deshalb mehr wie Schauspieler und weniger wie Models.
Erwin Olaf: Oh ja, absolut. Absolut. Das ist auch ein interessanter Weg, um darzulegen, wer erzählt eine Geschichte? Was trägt er? Was sind die Schuhe? Was ist der Haarschnitt, bei dem er oder sie gesagt hatte, das finde ich schön, meine Haare so zu haben. Und die Schuhe habe ich gekauft und die haben eine Geschichte. Und eben nicht der schönste Schuh oder nicht das tollste Kleid. Aber das gehört zu der Person und man soll, wenn man meine Bilder anschaut, auch die echte Person sehen. Vielleicht nur für eine Sekunde.
Man muss für eine Sekunde die echte Person bekommen, die man sieht, und nicht nur ein Model. Das ist ein sehr wichtiger Unterschied, denn bei einem Model auf dem Catwalk schaut man nur ein Produkt an. In meiner Arbeit muss man den Blick der Person wahrnehmen.
Thomas Berlin: Das heißt, die Person auf dem Bild weiß dann auch, was sie darstellt und ist nicht nur der Kleiderständer wie auf einem Catwalk. Warum ist das entscheidend?
Erwin Olaf: Wenn man ein Model nur als Kleiderständer hat, dann stoppt man das Sehen. Aber in die Seele der Person zu schauen, ist mein Ziel.
Thomas Berlin: Das muss im fotografischen Prozess faszinierend sein, auf diese Weise mit den Menschen zu interagieren und dann gemeinsam etwas zu schaffen, oder?
Erwin Olaf: Finde ich absolut, ja. Deswegen mache ich das mit so viel Liebe und so oft. Das ist der wichtigste Moment für mich.
Thomas Berlin: Da spielen ja viele Aspekte hinein. Idee, Set, Accessoire, Licht, Technik, Menschen. Auch wie man interagiert. Wann bist du letztlich mit dem Ergebnis all dieser Aspekte zufrieden?
Erwin Olaf: Das ist das Bauchgefühl. Zur Erläuterung kann ich ein Beispiel aus meiner Serie „Im Wald“ geben. Da waren Mutter und Kind unter dem Baum und wir hatten noch zehn Minuten. Bauchgefühl kann man haben, aber man soll auch eine Deadline haben (lacht). Da ist die Mutter mit einem Kind und man sieht nur ein kleines bisschen von Kopf des Kindes und ich fühlte, es war nur instruiert. Daraufhin habe ich sie angeregt als Mutter auf ihr eigenes Kind zu schauen und nicht nur Instruktionen des Fotografen zu folgen. Und dann war sie auch auf dem Bild die Mutter. Das war eine kleine Nuance in einem großen Bild. Aber dann war ich zufrieden.
Thomas Berlin: Losgelöst von deinen eigenen Arbeiten: Was ist generell eine gute Fotografie?
Erwin Olaf: Wenn man auf natürliche Weise sieht, dass Inhalt und Form zusammengehen, dann ist man dicht an einem guten Foto. Und dann sollte auch noch Magie dabei sein, die ich nicht definieren kann. Dann schaut man mit Liebe so ein Foto an. Ich finde es übrigens auch sehr interessant, wenn ein Fotograf eine Handschrift hat.
Oben: Selbstportraits I wish, I am, I will be. © Erwin Olaf and courtesy Galerie Ron Mandos Amsterdam, The Netherlands.
Thomas Berlin: Die Handschrift des Fotografen hilft dir zur Einordnung des Bildes. Das heißt noch nicht, ob das Bild einen bewegt oder nicht.
Erwin Olaf: Nein, natürlich nicht. Aber das ist immer ein kleiner Teil von Wiedererkennung. Die Frage nach einem guten Bild ist eine einfache Frage, aber es gibt keine einfache Antwort. Heutzutage werden pro Tag auf Instagram, Facebook und so weiter eine Million gute Bilder gemacht über den ganzen Globe. Ein schönes Bild ist schön. Aber ist es ein gutes Bild, das ist die interessante Frage.
Thomas Berlin: Auf deinen Gedanken zu Inhalt und Form möchte ich noch mal zurück kommen. Ich hatte ein Gespräch mit Vincent Peters geführt, der eine Eisbergtheorie hat. Er sagt, das, was du auf dem Bild siehst, ist nur die Spitze des Eisberges. Und wenn du vom ganzen Drumherum keine Ahnung hast, wirkt das Bild auf dich auch nicht richtig.
Erwin Olaf: Absolut. Und den unteren Teil des Eisbergs soll man fühlen, weil das super interessant ist. Das versuche auch ich zu triggern. Das kann auch gute Malerei. Das ist faszinierend.
Thomas Berlin: Deine Bilder finden auch viele Menschen faszinierend. Ich gehe nochmal kurz darauf ein, dass du Preisträger bist und sehr viel Anerkennung hast. Diese starke öffentliche Anerkennung ist ja auch wichtig für einen Künstler. Aber was bedeutet sie dir persönlich? Ist das für dein Schaffen eine Bestätigung, die dir gleichzeitig auch künstlerisch hilft?
Erwin Olaf: Natürlich finde ich Anerkennung fabelhaft. Aber lange Zeit hat mich das nicht zufrieden gemacht, weil ich unsicher war. Aber ich muss sagen, dass es seit drei oder vier Jahren unglaublich ist, was in meinem Leben geschieht. Die aktuelle Ausstellung in der Kunsthalle München ist eine unglaublich wichtige Ausstellung für mich. Was dort gezeigt wird, das bin tatsächlich ich. Das ist mein Leben. Ich hatte auch meine alten Freunde eingeladen und das war sehr emotional für mich. Und das hat nichts zu tun mit einem gewonnenen Preis, denn dieses Erleben ist der wirkliche Preis.
Bemerkenswert finde ich, dass meine Ausstellung in Deutschland ist, dem Land der Düsseldorfer Schule. Diese Schule hat einen großen Einfluss auf die Fotografie der letzten dreißig Jahre in Deutschland. Und ich bin alles, aber kein Düsseldorfer Schüler. Ich stehe ja für inszenierte Fotografie, nicht für dokumentarische. Und dass ich dennoch im Land der Dokumentarfotografie so eine schöne Ausstellung haben kann, das hat mich emotional berührt.
Aber ich muss sagen, dass ich inzwischen auch müde bin. Ich bin 62 und die Geschichte, die ich dort erzähle, die kann ich nicht nächstes Jahr wiederholen. So ein „Im Wald“, das ist eine Serie, ich hatte niemals gedacht, als wir anfingen, dass ich das noch in meinem Kopf hätte. Das kann ich nicht im nächsten Jahr wiederholen. Das dauert nun mal. Das ist der Punkt nach einem langen Satz, den ich in dreißig Jahren geschrieben habe. Und jetzt fange ich mit einem neuen Satz an, hoffe ich zumindest (lacht).
Aber auch die ganzen Anerkennungen, die ich früh in meinem Leben gehabt habe, waren wichtig. Als die ersten Personen anfingen meine Arbeiten zu kaufen, um diese an die Wand zu hängen, war das eine großartige Stimulans, um weiter zu machen. Finden die das schön? Wollen die das wirklich an Ihrer Wand haben? Wollen die das sogar in Ihrer Ausstellung haben? Das ist eine Anerkennung, um neue Arbeiten zu machen. Insofern ist Anerkennung super schön.
Thomas Berlin: In deiner früheren Phase wirkten die Bilder teilweise provokativ. War das dein Lebensgefühl oder eine Mission? Und stört es dich jetzt, dass sich Leute, die das früher als provokant fanden, heute deine Arbeiten an die Wand hängen?
Erwin Olaf: Nein, ich finde, das ist ein großes Kompliment. Ich habe niemals versucht, zu provozieren. Ich habe nur versucht, meine Gefühle auszudrücken. Und ich habe für meine Freunde und meine Familie gearbeitet, nicht für ein großes Publikum. Der eigene Kreis war klein und Nacktheit und Körperlichkeit waren niemals ein Problem für meine Freunde und Freundinnen. Da war auch Sexualität, die musste man natürlich untersuchen aber da war nichts wofür man sich schämen muss. Wenn heute jemand sagt, das Bild aus den Achtzigern finde ich schön, dann bin ich natürlich sehr stolz.
Thomas Berlin: Es ist wichtig, dass sich die Gesellschaft in Richtung eines freiheitlichem Denkens entwickelt hat.
Erwin Olaf: Ja, wir können so froh sein, dass wir hier leben. Und in dieser Zeit. Ich meine, da hat sich so viel geändert.
Thomas Berlin: Meinst du dass Bilder auch zu den gesellschaftlichen Veränderungen beigetragen haben?
Erwin Olaf: Ja.
Thomas Berlin: Wenn man etwas visualisiert, beeinflusst dass dann auch das Denken?
Erwin Olaf: Ich denke, dass das Visuelle immer wichtig ist. Aber es sind die Wörter, die überzeugen müssen und die Bilder können dabei helfen.
Thomas Berlin: Was kann Fotografie heute noch? Was kannst du mit Bildern im besten Sinne auch gesellschaftlich bewirken?
Erwin Olaf: Ich finde, dass die Mutter der Fotografie noch immer journalistisch ist. Mit dem Journalismus fängt es an. Mit der Kamera kann man die Welt sehen lassen, zum Beispiel wo Veränderung stattfinden muss. Damit fängt es an. Die künstliche Fotografie, die ich mache, ist mehr für Reflexion und Vertiefung. Aber das kommt immer danach.
Thomas Berlin: Weil du das Thema Technik vorhin ansprachst, mit was fotografierst du?
Erwin Olaf: Ich fotografiere oft mit Hasselblad. Aber „Im Wald“ und "April Fool“, das sind die zwei letzten Serien, mit einer Sony mit Leica-Linsen. Super tolle Linsen. Aber ich bin immer noch verliebt in Hasselblad, spezial Haut wird sehr schön wiedergegeben. Hasselblad ist nur etwas langsam.
Thomas Berlin: Zum Abschluss habe ich eine persönliche Frage. Was machst du gerne, wenn du nicht arbeitest?
Erwin Olaf: Auch diesen Moment will ich eigentlich untersuchen, lesen, aber auch Dokumentarisches anschauen. Auch haben wir einen kleinen Garten auf dem Dach. Kino oder andere Kunst ansehen, das finde ich immer sehr schön. Aber ich kann auch sehr faul sein (lacht).
Thomas Berlin: Erwin, herzlichen Dank für das Gespräch.
Erwin Olaf: Sehr gerne, Thomas.
Erwin Olaf im Web: https://www.erwinolaf.com Und auf Instagram: https://www.instagram.com/studioerwinolaf/ Feedback zum Interview ist willkommen, und zwar hier.