THOMAS BERLIN

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„Meine Bücher sollen Spaß machen und weibliche Schönheit feiern.“ - Der Fotograf Simon Bolz im Gespräch mit Thomas Berlin über Fotobücher

Thomas Berlin: Simon, wir sitzen heute mit deiner Buchtrilogie zusammen und wollen über Fotobücher und Fotobuchgestaltung sprechen. Aber vorab würde ich gern wissen, was bedeuten Fotobücher für dich im Allgemeinen?

Simon Bolz: Nimmt man ein Buch zur Hand, so tut man dies ganz bewusst und lässt sich darauf ein. Man betrachtet Fotos mit mehr Zeit und Wertschätzung als auf einem kleinen Handy-Display. Aus diesen zwei Gründen liebe ich Bildbände.

Thomas Berlin:  Worin unterscheiden sich die drei Bücher?

Simon Bolz: Jedes Werk steht für sich alleine und zeigt meine Arbeiten zu einer bestimmten Zeit. Es ist aber nie der bloße Abdruck meines Portfolios, sondern ich habe mir jedes Mal gezielt Bildserien ausgearbeitet. Der serielle Charakter, also Bildstrecken statt Einzelmotiven, zieht sich durch alle drei Bücher.

Mein erstes Buch „Frisky“ (2014) steckt voller erster Male. Es war für mich vor allem ein großes Abenteuer. Als Fotograf war ich noch relativ unbekannt und ich wollte unbedingt nach draußen und meine Fotos veröffentlichen.

Beim zweiten Bildband „Sublime“ (2018) habe ich mich von der Faszination französischer Frauen inspirieren lassen. Es war eine Phase, in der ich sehr viel mit französischen Modellen gearbeitet habe. Das Durchschnittsalter der Models betrug 23 Jahre, was unglaublich jung ist. Und so habe ich während der Produktionen gemerkt, dass Nacktheit nur nebensächlich ist, ich eigentlich aber das Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit beschreibe. Die Mädels haben nicht an morgen gedacht, nicht an die Rente. Sie waren komplett frei im Kopf und das war sehr erfrischend.

Im neusten Buch „Mellow“ (2024) spürt man vor allem Reife und Gelassenheit. Ich bin älter und entspannter geworden und genau so die Modelle. Im Schnitt sind sie diesmal 28 und man sieht, dass sie im Reinen mit sich selbst sind. Sie wissen mit ihrem Körper und ihren Reizen zu spielen.

Aus: Mellow.

Thomas Berlin: Kannst du noch etwas zum Frauentyp in deinen Büchern sagen?

Simon Bolz: In den Büchern sind zwischen 23 und 27 Modelle. Ich versuche grundsätzlich nicht, meinen Lieblingstyp Frau im Buch abzubilden, sondern eine große Bandbreite von Schönheit zu zeigen. Also blond, brünett, klein, groß, asiatisch, mit dunkler Haut, blass, rothaarig. Wichtig ist, dass ich Abwechslung habe, dass ich Kontraste habe.

Thomas Berlin: Vorhin hast du gesagt, warum du Bücher magst. Wenn du dich mal in die Betrachter deiner Bücher hineinversetzt, was möchtest du bei denen auslösen?

Simon Bolz: Ich möchte Ausgleich schaffen zu der Welt, zu den Nachrichten, zu den ganzen negativen Themen in der Welt. Wenn du eine Zeitung aufmachst, findest du zu 99 % nur schlechte Ereignisse. Tragödien, Mord und Totschlag, schlechte politische Entscheidungen. Du findest nichts, was dich irgendwie erfreuen lässt. Und das stört mich doch sehr, dass das unser Leben ist, dass alles immer nur von Negativem geprägt ist.

Deshalb sind meine Bücher alle drei ganz bewusst auf einer gewissen Leichtigkeit aufgebaut und sollen einfach nur Spaß machen. Also keine politische Aussage, keine tiefere Bedeutung. Man darf sich seine eigenen Gedanken machen, aber soll vor allem mal alles um sich herum vergessen und abtauchen. Schönheit genießen, sozusagen. Ästhetik ist immer der Leitspruch.

Thomas Berlin: Welche Auflagen haben die drei Bücher und wie ist der Verkaufsstand?

Simon Bolz: Frisky hatte eine Auflage von 1000 Stück, da war die Nachfrage so hoch, dass ich bei Sublime auf 1200 Stück hochgegangen bin. Und aufgrund der aufgekommenen Prüderie bin ich wieder auf eine Auflage von 1000 bei Mellow zurückgegangen. Aktuell habe ich noch 250 Exemplare von Mellow, die beiden ersten Bücher sind restlos verkauft.

Thomas Berlin: Mellow ist im März erschienen, also vor rund drei Monaten. Das heißt, dann hast du einen relativ schnellen Abverkauf.

Simon Bolz: Ja, das war mir ganz wichtig. Wir haben ja diese Buchpreisbindung in Deutschland, die aus meiner Sicht überholt ist und einem Self-Publisher den Absatz auch erschwert, weil ich keine Black Friday Aktionen machen kann oder Ähnliches. Es ist mit der Buchpreisbindung ausschließlich erlaubt, einen Vorverkauf anzubieten, der maximal 20 % Rabatt auf den späteren Verkaufspreis hat. Und so habe ich mit Vorverkauf ein bisschen den Absatz angekurbelt, weil ich kein Buchhändler werden will und den ganzen Tag nur da sitzen möchte und Bücher verpacken, sondern das sollte möglichst schnell erfolgen..

Aus: Mellow.

Thomas Berlin: Wie hat sich der Akt-Buchverkauf in den inzwischen prüderen Zeiten verändert?

Simon Bolz: Man muss sagen, es hat sich in dem ganzen Bereich massiv verändert. Der Buchhandel mag mit Aktbüchern nichts mehr zu tun haben, es sei denn, du bist ein großer Star. Ansonsten kannst du keine Bücher mit nackten Frauen mehr verkaufen.

Thomas Berlin: Ich kann mich erinnern, dass du dein zweites Buch (Sublime) sogar eine öffentliche Signierveranstaltung in einer Buchhandlung hattest.

Simon Bolz: Ganz genau. Bei Sublime war das sogar bei Leica in ihrem Flagship Store in Frankfurt. Die haben dort eine sehr schöne Buchhandlung und hatten mein Buch dort auch verkauft, ebenso im Leica-Museum in Wetzlar. Jetzt beim neuen Buch geht es nicht mehr, wie sie sagen, müssen sie „diverse Richtlinien befolgen“. Das Thema Nacktheit ist leider in der heutigen Zeit nicht mehr populär. Ich bin zu spät geboren, (*lacht*), ja, okay, ist so. Also ich sage mal so, diese Zeit der  Emmanuelle-Filme, das wäre meine Zeit gewesen.

Thomas Berlin: Früher hattest du auf vielen Stern-Titelseiten Nacktheit, auch in der Werbung und im damals zeitgenössischen Film.

Simon Bolz: Das sind Sachen, die mich vielleicht auch unbewusst geprägt haben. Da habe ich mal einen bebilderten Artikel gelesen zum Thema Körpersprache und Verführung. Und da muss ich heute manchmal noch dran denken, weil das ja etwas ist, was in meinen Bildern auch eine große Rolle spielt, die Körpersprache.

Thomas Berlin: Befasst du dich bewusst mit Körpersprache?

Simon Bolz: Ja, ja, ja.

Thomas Berlin: Wie hast du das gemacht? Schöpfst du noch aus dem Sternartikel oder hast du dich zusätzlich noch schlau gemacht?

Simon Bolz: Ich bin es jetzt nicht wissenschaftlich angegangen, sondern allgemein habe ich ein Archiv, in dem ich Bilder speichere, die bei mir etwas auslösen. Ich beschäftige mich viel mit der Bildanalyse und frage mich, was es ist, was mich anspricht. Die Posen, die in meinen Büchern vorkommen, sind zu 90 % von mir vorgegeben. Also das entsteht nicht einfach so, sondern ich spreche ganz viel beim Shooting.

Thomas Berlin: Du bist in diesem Sinne also Regisseur und die Models sind Schauspielerinnen?

Simon Bolz: Genau, so kann man sagen, ja. Manchmal fühle ich mich auch als Dompteur, weil ich auch selbst vorturne und mit Händen und Füßen erkläre.

Aus: Mellow.

Thomas Berlin: Fotobücher werden in Deutschland im Durchschnitt deutlich unter deiner Größenordnung von 1000 Stück aufgelegt. Da bist du dann schon einer der größeren Anbieter, auch bezüglich der Verkäufe.

Simon Bolz: Das wusste ich nicht. Unter 1000 Exemplaren lohnt sich ein Offsetdruck nicht, weil ja die ganzen Druckplatten belichtet werden müssen.

Thomas Berlin: Bei kleineren Auflagen nicht. Und Digitaldruck ist zudem immer besser geworden.

Simon Bolz: Ich hätte auch nichts dagegen, meinen Kalender lasse ich z.B. jedes Jahr im Digitaldruck produzieren. Aber ich wüsste in Deutschland keine Druckerei, die Bücher in meiner Größe digital druckt. Das sind dann immer 2 cm an jeder Seite weniger.

Thomas Berlin: Viele bleiben irgendwo innerhalb des A4-Formats, weil die Druckbögen dann natürlich auch preiswerter sind.

Simon Bolz: Und der nächste Sprung macht es dann gleich wieder deutlich teurer. Die Druckkosten sind gestiegen, keine Frage, aber sie sind nicht so immens gestiegen wie andere Kosten. Die Produktion selbst ist viel teurer, also die ganzen Reisen, Modellgagen und Unterkünfte haben eine höhere Kostensteigerung als die Druckkosten.

Thomas Berlin: Kannst du mal kurz schildern, was dein Vertriebsweg ist? Du bist ja im Eigenverlag, musst dich um alles kümmern. Und wie kann man sich das vorstellen?

Simon Bolz: Jemand bestellt auf meiner Website ein Buch, ich signiere es, verpacke es, laufe zur Post und bringe es weg. So simpel ist es. Und in der Vorbestellerphase hatte ich den Vorteil, dass ich die 400 DHL Labels schon vorab drucken konnte und dann nur noch verpacken musste, was schon sehr, sehr viel Arbeit war. Aber da hat mir meine Frau geholfen. Das Nadelöhr ist dann wieder die Post. Denn wenn man viele Pakete zur Post bringt, dann verzweifeln die. Ich bin normaler Privatkunde bei der Post, weil als Geschäftskunde habe ich überhaupt keine Vorteile, denn da müsste ich immer ganz viel Ware haben. Dass die mit dem LKW vorbeikommen, das machen die nicht für 20 Bücher, dann musst du schon hunderte haben. Also das ist nicht so richtig schön gewesen. Ich habe am Schluss tatsächlich in so einer winzigen Postfiliale auf dem Land, in so einem Supermarkt, die allermeisten Bücher aufgegeben, weil ich an der Postfiliale quasi weggeschickt wurde. Die konnten so viele Pakete nicht annehmen.

Thomas Berlin: Wenn ich mir deine Bücher ansehe, fällt mir auf, dass die Bilder farbenfroh sind, warme Farbtöne haben und meistens ganzseitig sind. Früher hattest du ein bisschen mehr Weißrand, jetzt viel seltener. Das wirkt schon wie aus einem Guss. Kannst du zu den Gestaltungsprinzipien für die Bücher, insbesondere für das Neue, noch etwas sagen?

Simon Bolz: Wenn ich ein Buch gestalte, dann versetze ich mich natürlich in den Betrachter und als Betrachter wünsche ich mir, die Bilder möglichst groß zu sehen. Das Gute ist, dass ich das Format für das dritte Buch schon kannte, als ich gestaltet hatte. Das heißt, ich kannte bereits beim Fotografieren das Seitenverhältnis und wusste, dass ich oben oder unten etwas abschneiden musste, um das 2:3-Format auf das Format meiner Bücher zu bringen.

Thomas Berlin: Die Bildseiten sind drei zu vier?

Simon Bolz: Nicht ganz, es ist kein glattes Format, ungefähr 7:10, aber ich wusste jedenfalls, dass ich in der Komposition immer noch Platz lassen musste, damit etwas weggeschnitten werden kann.

Thomas Berlin: Und die Farben?

Simon Bolz: Farben sind mir wahnsinnig wichtig. Ich verstehe das ganze Prinzip der Schwarz-Weiß-Fotografie, die Reduktion und das Abstrakte. Aber für mich sind Farben Emotionen, ich laufe farbig durch die Welt und Farben begeistern mich. Es kann passieren, dass mich die Farbe des Himmels begeistert oder mich das Grün von irgendwelchen Pflanzen anspricht oder irgendwelche Rottöne. Also ich spreche sehr auf Farben an und deswegen habe ich auch ganz bewusst entschieden, im neuen Buch viel weniger schwarz-weiße Aufnahmen zu haben als in den vorherigen. Die Farben sind natürlich alle gezielt eingesetzt. Ich habe warme Farben, wie du schon sagtest, und die Farbpalette ist tatsächlich eher reduzierter. Das Farbspektrum ist nicht voll ausgereizt, sondern eher zusammengebracht. Die Hauttöne sind einheitlicher und mit weniger Abstufungen.

Aus: Mellow.

Thomas Berlin: Wie bearbeitest du die Farben in der digitalen Bildbearbeitung und in welchem Farbraum arbeitest du, bevor du die Bilddateien im CMYK-Farbraum in die Druckerei schickst?

Simon Bolz: Ich nutze nicht den größeren AdobeRGB-Farbraum, sondern fotografiere in sRGB. Wir haben das Thema damals in der Uni bis ins Detail durchgekaut und für mich war das Fazit, dass das Thema etwas überbewertet und zu heiß gekocht wird. Du musst mit Deinem Farbraum klarkommen. Aber vor dem Druck und der Umwandlung in CMYK habe ich natürlich einen Proof gemacht. An solchen Stellen bin ich sehr pingelig.

Thomas Berlin: Kommen wir zur Buchgestaltung im Sinne von Bildauswahl und Reihenfolge...

Simon Bolz: Wichtig ist der Flow. Wenn du durch ein Buch vom Anfang zu Ende blätterst, dann soll das einen guten Fluss ergeben. Ein Schlüssel in der Fotografie sind immer Kontraste. Du brauchst Abwechslung, um Aufmerksamkeit zu bekommen, um Spannung zu erzeugen. Dafür sind Kontraste notwendig. Das muss man in seinem Ablauf berücksichtigen. Wichtig sind auch Überraschungen. Es darf nicht alles komplett einheitlich sein, sondern du brauchst auch mal Unterbrechungen. So habe ich auch ganz bewusst ein paar leicht ironische Motive oder Strecken, z.B. mit den Eiswürfeln. Das musste einfach sein, damit es nicht zu ernst wird, sondern Leichtigkeit und Spaß enthält. Ich finde, es ist ganz einfach, immer ernste Bilder zu machen, aber dass es eine Leichtigkeit hat, finde ich immer eine Herausforderung.

Thomas Berlin: Vielleicht muss man da selbst auch vom eigenen Mindset her dazu passen. Siehst du in der Welt auch Positives, über das du dich freuen kannst, oder siehst du nur die negative Seite? Beides beeinflusst dein Verhalten als Fotograf, Buchgestalter und auch sonst im Leben. Übrigens, machst du die Buchgestaltung selbst?

Simon Bolz: Die Auswahl der Bilder und die Reihenfolge habe ich selbst gemacht. Für die Umsetzung in InDesign habe ich jemanden beauftragt. Ich saß die ganze Zeit daneben, damit da nichts schiefgeht.

Thomas Berlin: Denkst du beim Fotografieren eigentlich immer daran, dass es buchkompatibel ist?

Simon Bolz: Ich denke eigentlich schon vorher daran, ob ein Modell und eine Location für ein Buch passen würde, oder ob es zu banal ist, zu oft gesehen oder auch in meiner eigenen Arbeit eine Wiederholung ist. Ja, also das überlege ich mir schon vorher.

Aus: Mellow.

Thomas Berlin: Wie kann ich mir ein Buchprojekt bei dir vorstellen? Du hast ja bereits die letzte Phase geschildert, wie du es zur Post bringst. Aber wie fängt es an? Gibt es vorab eine Idee im Sinne eines Masterplans oder schaust du, was du aus dem bereits produzierten Content machen kannst?

Simon Bolz: Ich glaube, man kann es wahrscheinlich tatsächlich so ein bisschen wie bei einem Musiker oder bei einer Band vergleichen. Du bringst ein Album raus, und das kommt gut an und dann hast du erst mal ein Loch, in das du fällst, bevor du weitermachen kannst. Da ist wirklich ganz viel Angst dabei. Nach dem zweiten Buch (Sublime) war es so, dass ich tatsächlich dachte, okay, ich werde nicht noch mal da rankommen können. Das schaffe ich nicht nochmal.

Thomas Berlin: Was hat dich dennoch motiviert?

Simon Bolz: Es gab so viel positiven Zuspruch, dass ich tatsächlich ein Jahr lang erst mal so durchhing und dachte, okay, ich weiß nicht, was ich jetzt machen soll. Im Winter 2018 kam mein Buch Sublime raus und erst im Herbst 2019 habe ich beschlossen, jetzt muss ich mal wieder was machen und habe sieben oder acht Reisen und Modelle für 2020 gebucht. Es sollte im März 2020 losgehen und dann kam die Pandemie und alles musste gecancelt werden. Das war eine schwierige Zeit, weil ich eigentlich wieder voll motiviert war und dennoch nichts machen konnte.

Du kennst es ja, als Fotograf wünscht man sich auch immer, mit Modellen zu arbeiten, die noch nicht jeder gesehen hat, vielleicht mal ein neues Gesicht zu entdecken. Daran hatte ich sehr intensiv in der Pandemie gearbeitet und eine ganz tolle Russin gefunden; und als die Pandemie vorbei war, ging der Krieg in der Ukraine los und die Russin habe ich bis heute nicht gesehen. Dann habe ich mir aber gesagt, okay, ich fange jetzt einfach an, ohne Masterplan, und schaue, wie es läuft, bis ich erst mal 10 bis 15 Strecken über mehrere Monate produziert habe. Und während der Arbeit habe ich sukzessive gesehen, was ich noch brauche, z.B. mehr Outdoor-Shootings, eine Rothaarige, etwas Lockeres, etwas mit Wäsche.

Thomas Berlin: Sammelst du gezielt Ideen für deine Arbeit?

Simon Bolz: Ja, ich habe ein Ideenbuch, in das ich immer Sachen reinschreibe, die mir gut gefallen würden. Da stand z.B. schon ganz lange drin, dass ich mit alten Flippern shooten wollte. Und dann ist es mir gelungen, tatsächlich eine Location zu finden, wo ich genau das machen konnte.

Thomas Berlin: Sieht fast ein bisschen nach Las Vegas aus.

Simon Bolz: Ja, Las Vegas in Seligenstadt bei Offenbach, was es alles gibt.

Thomas Berlin: Hast du noch genug Ideen in deinem Ideenbuch?

Simon Bolz: Die Vielfalt meiner drei Bücher macht es für mich immer schwieriger, weil ich keine Wiederholung haben möchte, was Locations oder Bildideen betrifft. Teilweise kam es auch vor, dass ich Sachen produziert habe, die ich mir anders vorgestellt hatte, wo ich es nicht geschafft habe, dem Modell das zu vermitteln, was ich darstellen wollte. Dann hatte ich ein paar hundert Euro in den Sand gesetzt, aber was nicht buchwürdig ist, wird nicht gedruckt.

“…ich habe ein Ideenbuch, in das ich immer Sachen reinschreibe, die mir gut gefallen würden. Da stand z.B. schon ganz lange drin, dass ich mit alten Flippern shooten wollte.” Bild: aus Mellow.

Thomas Berlin: Bei Portfolios sagt man ja, das Portfolio ist nur so gut wie das schlechteste Bild. Siehst du das bei Fotobüchern ähnlich? Ist es nur so gut wie die schlechteste Fotostrecke oder muss man da differenzieren?

Simon Bolz: Ich glaube, dass man da differenzieren muss, weil Geschmäcker sehr unterschiedlich sind. Ich habe jetzt schon Feedback von Leuten, die sagen, dies und jenes ist mein absolutes Lieblingsbild. Und es überrascht mich, weil ich selbst ganz andere Lieblingsbilder im Buch habe.

Thomas Berlin: Das kann ich mir gut vorstellen, Simon, weil ein Bild immer drei Beteiligte hat: Fotograf, Model und Betrachter. Die Geschichte entsteht eigentlich im Kopf deines Rezipienten, in den du dich ja hineinversetzt, wie du sagtest, aber natürlich nicht ganz.

Simon Bolz: Das klingt sehr schlau. Kopfkino ist das und das hängt von unseren Erfahrungen ab. Ich habe z.B. in meinem vorherigen Buch ein ganz tolles Modell, die Chiara kennst du auch. Und ein guter Bekannter von mir, er kann sie nicht mehr anschauen, die erinnert ihn an eine Ex-Freundin aus seiner Schulzeit, die er nie wieder sehen will. Erfahrungen eben.

Thomas Berlin: Also Kopfkino in die unerwünschte Richtung.

Simon Bolz: Das hast du halt auch, Sachen, die man nicht ausschalten kann. Und ich denke, dass das tatsächlich bei ganz vielen von uns auch unterbewusst stattfindet, dass man immer Verbindung zur eigenen Erfahrung schafft.

Thomas Berlin: Wir sprachen über Buchdruck, Komposition, Ideen. Lass uns über Bildauswahl sprechen. Ich stelle mir vor, du hast 20 Bildstrecken für dein Buch geshootet, 30.000 Bilder produziert. Wie kommst du dazu, aus vielleicht 1000 guten Bildern die rauszusuchen, die nicht nur gut sind, sondern auch ins Buch passen?

Simon Bolz: Also das ist ein längerer Prozess, auf jeden Fall. Wenn ich ein Shooting mache, dann fotografiere ich tatsächlich zwischen 600 bis 1200 Bilder pro Shoot, wähle danach aber, also in den Folgetagen, direkt meine Favoriten aus, bearbeite die auch, sodass dann vielleicht noch 20 Bilder übrig bleiben. Und diese 20, die lege ich erstmal beiseite.

Thomas Berlin: Wie viele Durchgänge machst du?

Simon Bolz: Ich mache einen Durchgang, bei dem ich einen Stern vergebe und alles, was null Sterne hat, lösche ich danach komplett. Also das ist für immer verschwunden. Und dann kommen die nächsten Runden, zwei Sterne. Dann kann es sein, dass ich von den drei Sternen wieder degradiere auf zwei Sterne. Manchmal geht es auch so, dass ich bis zu fünf Sterne weitergehen muss, um eine kleine Auswahl zu erreichen.

Thomas Berlin: Hin und wieder machst du bestimmt eine Bestandsaufnahme deiner Bilder auf dem Weg zum Buch.

Simon Bolz: Ganz genau, und dann stelle ich fest, wenn ich das Ganze eine Weile gemacht habe, dass sich Posen wiederholen oder die Armhaltung oder mein Blickwinkel. Dann muss ich natürlich wieder Abwechslung reinbringen.

Thomas Berlin: Auf Basis der Vorauswahl aus den 20 einzelnen Shootings kommt dann die finale Bildauswahl für das Buch.

Simon Bolz: Bildauswahl macht mir sehr viel Spaß. Ich habe mir vier Monate Zeit dafür genommen und täglich vier bis sechs Stunden daran gearbeitet, Kopfhörer aufgesetzt und nur Bilder ausgewählt. Ich hatte von den 20 Bildern pro Shoot insgesamt 600 Bilder in der Auswahl. Und ich habe immer weiter reduziert, reduziert, reduziert und dann angefangen, Reihenfolgen zu bringen.

Thomas Berlin: Kommen die besten Bilder ins Buch oder die Bilder, aus denen du gute Bildstrecken machen kannst? Eine rhetorische Frage, ich weiß, aber vielleicht kannst du das Thema aus deiner Perspektive beschreiben?

Simon Bolz: Das Fünf-Sterne-Bild bedeutet noch nicht, dass es gedruckt werden kann. Es kann trotzdem Ausschuss sein. Also das ist kein Kriterium. Es ist nur die Vorauswahl. Es ist ein großer Unterschied zwischen der Auswahl einzelner Bilder für einen Kalender und der Bildauswahl für Bildstrecken im Buch. In meinen Büchern habe ich immer kleine Bildstrecken, von zwei bis zehn Bildern. Ein Kalenderbild muss quasi die Geschichte allein erzählen, während du bei einer Bildstrecke ein bisschen mehr Zeit für die Erzählung hast, aber es darf auch nicht zu lang und damit langweilig werden. Ich frage mich immer, ist da genug Abwechslung drin?

Du kennst ja Anastasia, als ich sie getroffen hatte, wusste ich, dass ich mit ihr fürs Buch shooten muss und ich habe andere Strecken etwas verkürzt, weil ich sie einfach noch im Buch haben musste. Das ist diese Cheerleader-Strecke, dafür habe ich mir eineinhalb Tage auf Fuerteventura mit ihr Zeit genommen und sehr, sehr viel produziert. Da hätte ich 80 Bilder drucken können. Und das dann auf sechs Seiten runterzubrechen, war wirklich hart. Aber genau das ist auch etwas, was ganz wichtig ist, dieses „Kill your Darlings“, dass du Bilder, die keinen Mehrwert im Buch bieten und eigentlich nur für dich eine persönliche Emotion haben, nicht ins Buch kommen dürfen.

Thomas Berlin: Schmerzlich, aber Bilder, die ausschließlich für dich eine persönliche Emotion beinhalten, bleiben ja für dich wertvoll. Vielleicht als Print. Aber der Betrachter, der nicht dabei war, der kann das nicht nachvollziehen und nur das aufnehmen, was er auf dem Bild sieht.

Simon Bolz: Genau.

Aus: Mellow.

Thomas Berlin: Wie gehst du bei der Reihenfolge der Bildstrecken im Buch vor? Was kommt zuerst?

Simon Bolz: Ich wusste, wie ich anfangen wollte. Der Titel des Buches stand fest, bevor ich mich ans Layout gemacht habe. Also ich wusste, dass das Ding Mellow heißen wird und ich mit dem Modell Tezz anfangen werde. Mit Tezz hat Stefan Rappo übrigens gerade ein Buch gemacht. Mit ihr habe ich super Gespräche gehabt, als ich sie auf Ibiza fotografiert habe. Und da sprachen wir viel über dieses Gefühl, Modell zu sein, Fotograf zu sein und das Aufeinandertreffen mit fremden Personen. All dies habe ich quasi in meinem kurzen Vorwort auch verarbeitet und wusste deshalb, dass ich mit ihr anfangen möchte. Danach ist es eigentlich viel leichter, als man denken würde, eine Reihenfolge hinzukriegen.

Thomas Berlin: Du achtest dann darauf, dass sich die Models nicht zu sehr ähneln, oder die Locations.

Simon Bolz: Ganz genau. Dass da wieder eine Abwechslung ist. Also eigentlich brauchst du nur beim letzten Bild sehen, passt es, wenn man weiterblättern würde. Oder erschreckst du zu sehr, dann ist es keine Überraschung, sondern eine negative Unterbrechung.

Thomas Berlin: Da du gerade das Modell Tezz angesprochen hast, komme ich noch mal auf Folgendes: Du hast ja vorhin gesagt, dass du der Regisseur bist und auch scherzhaft das Wort Dompteur gebraucht. Es gibt ja auch Models, vielleicht auch Tezz, die Ideen mit einbringen. Wie offen bist du, das Model in die Ideenfindung einzubinden?

Simon Bolz: Wenn ich merke, dass ein Modell viel eigene Energie mitbringt, dann wäre ich ja blöd, wenn ich die unterdrücken würde. Ich weiß noch, als ich mit Tezz fotografiert habe, da hat sie sehr viel theatralische Posen gemacht. Und ich habe zu ihr gesagt, dass ich das nicht brauche, dass es reicht, wenn sie einfach nur da ist. Und das hat ihr gefallen. Ich musste nur ein bisschen die Theatralik rausnehmen und habe sie frei agieren lassen.

Thomas Berlin: Wenn du mit unterschiedlichen Menschen im Alter von zwischen 23 und 34 arbeitest, was prägt diese Zeit?

Simon Bolz: Am Anfang ist erstmal eine ganze Menge Aufregung und Anspannung dabei. Du weißt nicht genau, was dich erwartet. Du kennst die Fotos aus dem Portfolio von dem Modell, weißt aber nicht, wie stark die bearbeitet sind, wie viel echtes Modell kommt jetzt? Also es gibt eine anfängliche Anspannung, die ich dann versuche mir zu nehmen, indem ich immer sehr gut vorbereitet bin. Ich habe ein Styling überlegt und ich weiß eigentlich auch immer, mit was für einem Bild ich anfangen möchte. Ab da ergibt sich eigentlich alles von selbst und ich weiß auch nicht, wie es passiert.

Thomas Berlin: Das heißt, du hast einen Plan, bist aber bereit, ihn zu ändern?

Simon Bolz: Ja, ja. Ich meine, alleine wenn du draußen arbeitest, musst du dich aufs Wetter, Wind und alles einstellen. Die Sonne ist leider anders, als ich es mir vorgestellt habe. Ich habe Shootings gehabt, da hatte ich keinen blauen Himmel, sondern nur einen weißen Himmel. Das ist etwas, was man lieben und hassen kann. Man muss sich dann schon immer sehr variabel zeigen. Klar. Also das ist etwas, was ich eigentlich auch schätze in der Spontanität. Das mag ich sehr.

Aus: Mellow.

Thomas Berlin: Für manche Leser des Interviews wird vielleicht die Frage noch relevant sein, warum du es im Selbstverlag machst.

Simon Bolz: Schon bei meinem ersten Bildband war es so, dass ein Verlag auf mich zugekommen ist. Das würde mich aber einengen. Selbstverlag zum einen, weil ich selbst bestimmen möchte, was abgedruckt wird. Der andere Grund ist die Wirtschaftlichkeit, ein Verlag hätte mir kein Honorar sondern vielleicht 10 Freiexemplare gegeben, aber ich hätte auf eigene Kosten liefern müssen. Ein Verlag hätte mir den Buchdruck abgenommen. Aber ich liebe Druck. Ich möchte dabei sein, ich möchte mit dem Drucker sprechen. Ich möchte diesen ganzen Prozess begleiten. Das ist mein Baby. Also deshalb Selbstverlag, weil Bücher zu produzieren kein Geschäft, sondern eine Leidenschaft ist.

Thomas Berlin: Auch wenn es weniger wichtig ist, aber es interessiert viele Menschen: Womit fotografierst du und mit welcher Bildbearbeitung arbeitest du?

Simon Bolz: Ich fotografiere seit 2015 mit Sony. Es ist jetzt inzwischen die A7RIV, also nicht das neueste Modell, aber ich bin mit der Kamera so zufrieden, dass ich bis jetzt keinen Grund gesehen habe, upzugraden. Und von den Objektiven habe ich im Buch am meisten das 55mm/1.8 Sony/Zeiss-Objektiv benutzt. Daneben das f/1.8er 35mm von Sony sowie das 85mm Zeiss Batis. Ich fotografiere RAW und bearbeite in Capture One. Für die Hautretusche verwende ich Photoshop.

Thomas Berlin: Hast du Fotobücher, die du besonders gut findest?

Simon Bolz: Witzigerweise bin ich selbst kein Sammler. Ich bin jemand, der davon träumt, möglichst wenig Gegenstände zu besitzen und ein ganz reduziertes Leben zu führen. Insofern habe ich selbst vielleicht nur 20 bis 30 Bildbände. Ein Buch, das mir sehr gut gefallen hat, war das vorletzte von Stefan Rappo, das neueste habe ich noch nicht. Ansonsten liebe ich die Fotografie von Cameron Hammond.

Thomas Berlin: Magst du auch Kate Bellm?

Simon Bolz: Ja, Wahnsinn. Die liebe ich total. Das sind aber auch Bilder, die mich selbst immer einschüchtern, weil ich mir denke, ich will auch so gut sein.

Thomas Berlin: Du bist selbstkritisch?

Simon Bolz: Komplett. Deshalb habe ich vor anderthalb Jahren meinen Social Media Konsum drastisch runtergefahren, weil ich gemerkt habe, dass mir dieses ständige Anschauen von Fotos von anderen total schadet. Dass ich immer das Gefühl habe, selbst minderwertig zu sein, weil das, was ich sehe, viel besser ist, als das, was ich mache. Das hat mich wirklich negativ beeinflusst. Ich wollte nicht mehr so viel nach links und rechts schauen, sondern mich mehr auf mich selbst fokussieren.

Thomas Berlin: Ist das dein einziges Problem mit Social Media?

Simon Bolz: Ich bin sehr kritisch dem ganzen Social Media gegenüber, weil so sehr ich das Smartphone und Social Media für eine gute Idee halte, habe ich die Sorge, dass wir als Gesellschaft in einem unglaublich großen Maß süchtig geworden sind. Wenn ich bei mir am Westhafen in Frankfurt aus dem Fenster schaue, sind zehnmal am Tag irgendwelche Influencerinnen da, die Fotos von sich machen. Und das ist schon fast traurig anzusehen, dass die dann eine halbe Stunde, manchmal eine Stunde lang dastehen und immer wieder Selfies von sich machen.

Abnahme des Druckbogens für das Buch Mellow.

Thomas Berlin: Was ist der schönste Aspekt deiner Arbeit?

Simon Bolz: Am meisten schätze ich die Zusammenarbeit mit diesen Menschen. Sie ist nicht bei allen Modellen gleich. Für mich ist es eine sehr positive Zusammenarbeit, wenn ich merke, dass das Modell für Fotografie lebt und auch Herzblut dabei hat. Es sind schon sehr viele Modelle im Buch, von denen ich das sagen würde. Und dann hast du natürlich aber auch manchmal Begegnungen, wo Modelle sagen, ich bin müde, ich habe keine Lust. Das kommt auch vor, aber wenn ich eine Energie spüre, die von meinem Gegenüber kommt, dann macht es natürlich doppelt Spaß und motiviert mich auch noch mal mehr. Und manchmal zeigt sich auch der Charakter eines Menschen in den Bildern.

Thomas Berlin: Wird es ein viertes Buch geben?

Simon Bolz: Ich fotografiere weiterhin sehr viel, aber ich habe jetzt kein neues Buch in der Planung.

Thomas Berlin: Vielen Dank für die Einblicke, Simon. Möchtest du zum Schluss noch etwas sagen?

Simon Bolz: Vielleicht wie bei Peter Lustig früher als die Sendung Löwenzahn vorbei war: „Jetzt abschalten“. Geht mal raus, erlebt die Welt und lasst das Smartphone zu Hause.

Thomas Berlin: Simon, danke für das Interview!

Simon Bolz ist erreichbar über seine Website und auf Instagram. Feedback zum Interview ist hier willkommen. Ein anderes, 2020 mit Simon zu allgemeinen Fotothemen geführte Interview ist hier zu lesen.