"Jedes meiner Bilder hat etwas zu sagen, man muss nur zuhören." - Der Fotograf Andreas Reh im Gespräch mit Thomas Berlin
Thomas Berlin: Andreas, nachdem du mir dein Atelier und deine Werkstatt gezeigt hast, würde ich nun gerne ausführlicher über zwei deiner künstlerischen Aktivitäten sprechen: Erstens über deine Collodion Wetplate-Arbeiten und zweitens über deine „Personality“-Reihe.
Starten wir it der Wetplatefotografie. Das Verfahren ist vergleichsweise aufwändig und sehr handwerklich. Was macht für dich den Reiz aus, dass du dich damit so intensiv befasst?
Andreas Reh: Das sind mehrere Aspekte, die da zusammenkommen. Zum einen bin ich mit der analogen Fotografie gross geworden, mein Vater hatte eine eigene Dunkelkammer und schon in der Schule habe ich Fotokurse belegt. Was mich dabei immer fasziniert hat, war der Moment, als das Bild in der Entwicklerschale aus dem nichts entstanden ist. Das war mich mich Magie pur. Man hatte einen Film belichtet, oft schon eine ganze Weile vorher, man wusste nicht ob die Bilder überhaupt etwas geworden sind und dann stand man in der Dunkelkammer und vor deine Augen kamen wieder die Szenen zu Vorschein, die vorher festgehalten hast. Zum anderen bin ich leidenschaftlicher Handwerker und Do-it-Yourselfer, die Nassplattenfotografie ist die einzige Art der Fotografie, bei der man über alles die volle Kontrolle hat. Man stellt alles selbst her, den eigenen Bildträger/Film mit der selbst hergestellten lichtempfindlichen Beschichtung, Entwickerlösungen, Fixierlösungen, selbst die Firnislacke und in meinem Fall sogar Teile der Kameraausrüstung und Objektive...alles machst du selber, alles kannst du beeinflussen nach deinen Wünschen und Anforderungen anpassen.
Thomas Berlin: Deine Wetplatearbeiten, meist Nudes und Portraits, wirken wie aus einer anderen Zeit. Oft sind die Augen, bzw. der Fokuspunkt generell, sehr scharf und herausgehoben während die Körper teilweise eine weiche Unschärfe unfasst. Woran liegt das?
Andreas Reh: Die Lichtempfindlichkeit der beschichteten Fotoplatten liegt im Bereich von Iso 0.5- Iso 1.5, das heisst man braucht sehr viel Licht zum Belichten. Deshalb ist es sinnvoll, mit möglichst offener Blende zu fotografieren, bei meinem Format 18x24cm ist die Normalbrennweite 400mm und bei Offenblende 4 und Portraitdistanz reden wir von Schärfebereichen von wenigen Millimetern. Das kann gerade bei Portraits, auch sehr problematisch sein, wenn zum Beispiel die Nase im Gesicht zur unscharfen Knolle mutiert.
Thomas Berlin: Ich glaube jetzt haben wir einen Punkt erreicht, an dem es gut wäre, wenn du erklären könntest, wie Wetplatefotografie grundsätzlich funktioniert.
Andreas Reh: 1851 von Frederick Scott Archer und Gustav Le Grey entwickelt, war die Kollodium-Nassplattenfotografie bis ca. 1870 die verbreitetste fotografische Technik. Ein Bildträger aus Glas/Blech/ Plexiglas etc. wird gründlich gesäubert. Eine Lösung aus einer flüssigem Kollodium-Bromid/Jodidsalzmischung wird auf der Oberfläche gleichmässig verteilt. Die so beschichtete Platte wir in einem Bad aus Silbernitrat lichtempfindlich gemacht (sensibilisiert). Die Platte wird anschliessend unter Rotlicht aus dem Bad genommen und sofort, noch im nassem Zustand, in der Kamera belichtet. Danach erfolgt die Entwicklung, Fixierung und Trocknung der Aufnahme. Die Oberfläche des Bildes, welches nun aus reinem metallischen Silber besteht, wird mit einer Lösung aus Alkohol, Schelllack/ Sandarakharz und Lavendelöl übergossen und somit dauerhaft versiegelt und vor Oxidation geschützt. Ambrotypien, so nennt man die Kollodiumnassplattenbilder auf Glas, sind Scheinpositive, sie können sowohl als Negative zur Vervielfältigung für fotografische Edeldrucke wie Cyanotypien, Salzdrucke etc. entwickelt werden, als auch als Positiv vor schwarzem Hintergund als fertiges Unikat an der Wand dienen.
Thomas Berlin: Die Originale in deiner Werkstatt wirken auf mich fast dreidimensional und sind etwas anders als die davon gemachten Prints auf Basis eines Scans. Woran lieht das?
Andreas Reh: Die Glasplatten reflektieren das Licht auf ihrer Oberfläche, die dunklen Bereiche eines Bildes definieren sich aber aus schwarzen Untergrund, meist Samt, der ca. 3mm Glasstärke hinter der Bildschicht liegt. Das trägt mit zur räumlichen Wirkung bei.
Thomas Berlin: Wie lange betreibst du diese Art der Fotografie schon? Und war das ein gerader Weg auf das Niveau zu kommen, auf dem du heute bist?
Andreas Reh: Ich habe 2012 autodidaktisch damit begonnen, nach 5 Monate Internetrecherchen und Vorbereitungen, ging es los mit der Praxis. Auf Facebook gab es schon damals eine lebhafte Wetplate-Community mit sehr netten und hilfsbereiten Fotokollegen, die bei aufgetretenen Problemen Rat und Hilfestellung gaben. Mein Wesen als Perfektionist tat ein übriges dazu. Das höchste Niveau hatte ich 2015 erreicht, danach lies ich wieder mehr Imperfektionen zu, denn die gehören beim Verfahren für mich einfach dazu.
Thomas Berlin: Die geringe Lichtempfindlichkeit der Emulsionsschicht auf der Glasplatte ist natürlich eine Herausforderung auch für deine Models. Was bedeutet das ganz praktisch?
Andreas Reh: Im ersten Jahr fotografierte ich mit Dauerlicht, 1400 Watt an Energiesparlampen. Das Model musste dann während der Belichtung 5-8 Sekunden lang stillhalten, nicht blinzeln, nicht atmen. Deshalb sehen viele Personen auch auf historischen Aufnahmen wie versteinert aus. Das funktionierte aber nur bedingt, ein wenig wackeln tut man immer, was zu Unschärfen führte, die mich störten. Ich stellte deshalb 2014 auf Blitztechnik um, seitdem werden 6000 Wattsekunden Blitzleistung auf meine Modelle losgelassen. Ich habe mich extra erkundigt, ob dass medizinisch für die Augen unbedenklich ist und kann Entwarnung geben. Solange keine Vampire in der Ahnenlinie vorkommen, bist du safe.
Thomas Berlin: Kannst du noch etwas zu deiner Kamera und den verwendeten Materialien sagen?
Andreas Reh: Ich habe mehrere Kameras in den verschiedensten Formaten 4x5, 5x7 und 8x10“, Flohmarktfunde etc. benutzte aber hauptsächlich für meine Studioaufnahmen eine Century Studio 4a aus dem Jahr 1927 im Format 8x10“. Als Objektive sind mir alte unkomplizierte 400mm Projektionsobjektive von Meyer oder Leitz aus den 60er Jahren am liebsten, z.B. das Mayer Optik Görlitz Epidon 3.6/420, für das ich ganze 2 Euro gezahlt habe. Ich war nie bereit, die Wahnsinnspreise für Originalobjektive aus damaliger Zeit zu zahlen. Die Grundzutaten zur Fotochemie beziehe ich aus dem Chemikalienhandel, die Glas(Foto)platten vom örtlichen Glaser.
Thomas Berlin: Meist frage ich nach diesen technischen Dingen erst nachdem ich mit meinem Interviewpartner über dessen künstlerische Aspekte gesprochen hatte. In diesem Fall fand ich den Einstieg über deine ungewöhnliche Technik aber wichtig. Kommen wir jetzt aber gern zu den Inhalten. Insbesondere worum es dir in deiner Fotografie besonders geht also welches Ziel du damit verfolgst.
Andreas Reh: Erst einmal ist es für mich ein Hobby und erfüllt damit den ganz banalen Selbstzweck, meine Zeit mit etwas zu verbringen, was Freude macht. Mit meiner Fotografie versuche ich Visionen und Ideen meiner Vorstellung von Ästhetik entsprechend zu visualisieren, zu materialisieren. Die Nassplattenfotografie ist dabei ein Werkzeug, bietet aber noch viel mehr. Sie entschleunigt, verlangt die volle Konzentration auf ein einziges Bild… nicht nur für ein paar Sekunden, sondern für mindestens zwanzig Minuten. Als Fotograf und Model, erarbeiten wir dabei gemeinsam das fertige Bild. Die Interpretation überlasse ich bewusst dem Betrachter, jedes meiner Bilder hat etwas zu sagen, man muss nur zuhören.
Thomas Berlin: Was sind deine Anforderungen an die Models und wie findest du sie?
Andreas Reh: Die wichtigste Anforderung ist, dass es eben keine Modelle sein sollen, jeder kann es vor meine Kamera schaffen, die Anforderungen sind immer abhängig von der Bildidee, die umgesetzt werden soll. Für Arbeiten mit viel Haut ist es von Vorteil, das jene einigermassen rein ist, da es sich bei den fertigen Bildern um Originale handelt, die nicht retuschiert werden können. Am wichtigsten ist aber Interesse und die gegenseitige Wertschätzung. Die Technik hilft hier, ein Bild, für das man gemeinsam 20 Minuten und länger arbeitet, hat einen wesentlich höheren Stellenwert, als eine digitale Aufnahme unter 3000 weiteren.
Thomas Berlin: Du arbeitest nur mit ungeschminkten Models. Warum eigentlich?
Andreas Reh: Makeup ist eine Maskierung, man zeigt sich, wie man gerne gesehen werden möchte, dabei bleibt die natürliche Schönheit auf der Strecke. Wobei Schönheit der falsche Begriff ist, es geht um die persönliche Individualität, um das, was einem besonders macht. Im Falle Wetplatefotografie hat es aber auch noch einen simplen technischen Hintergrund. Die Fotoplatten sind UV-Licht sensitiv, Make-up beinhaltet aber oft UV-Blocker, damit sieht die Haut auf einer Nassplatte dann aus, wie mit Schuhcreme bestrichen. Selbst bekannte TV-Moderatoren mussten das bei mir schon lernen.
Thomas Berlin: Wie kann man sich ein WetplateShooting bei dir vorstellen?
Andreas Reh: Da viel Energie, Geld und Zeit in ein einziges Bild gesteckt wird, arbeite ich gerne mit Menschen, die vorher schon einmal digital von mir fotografiert wurden. Im einfachsten Fall arbeiten wir vor dem Wetplate-Shooting erst eine Stunde digital. Das erleichtert das Miteinander und die Bildfindung ungemein. Das eigentliche Wetplate-Shooting ist dann für jedes einzelne Bild, welches umgesetzt werden soll, viergeteilt. Wir bereiten erst die Szene, Pose und Kameratechnik im Studio vor, dann die Fotoplatte in der Werkstatt, gehen mit dieser zur Belichtung ins Studio und anschliessend sofort wieder in die Dunkelkammer zu Entwicklung und Fixierung. Ist das Bild nichts geworden, wird dass ganze ab Punkt zwei wiederholt. Pro Bild kommen so ca. 20-30 Minuten zusammen, und eine Menge Lauferei unter gewissem Zeitdruck. Das Zeitfenster zur Belichtung der nassen Platte bis zur Entwicklung darf je nach Temperatur und Luftfeuchte ca. 10 Minuten nicht überschreiten.
Thomas Berlin: Wieviele Wetplates entstehen in einem Shooting? Und wie groß sind die Originale?
Andreas Reh: Ich mache maximal 5-6 Wetplates in Folge, Fehlversuche mit eingerechnet. Die Ausbeute der zeigbaren Aufnahmen liegt in der Regel bei 25-50%. Das Originalbild im Ergebnis hat die Grösse das Aufnahmeformates, meine kleinste Nassplatte ist 24x36mm gross, die grösste 18x24cm.
Thomas Berlin: Was macht für dich den Reiz von Portraits und Akten aus? Du könntest ja auch Landschaften oder Pflanzen fotografieren.
Andreas Reh: Ganz klar die Interaktion mit Menschen. Landschaften und Pflanzen habe ich auch schon fotografiert und auch hier liegt ein grosser Reiz und Faszination. Aber unmittelbares Feedback auf ein gemachtes Foto gibt dir nur der Mensch vor der Kamera, bei Wetplates ist dieses Feedback oft so unfassbar emotional, dass da auch schon öfter mal Tränen fliessen.
Thomas Berlin: Die künstlerische Aktfotografie ist, soweit ich das bei dir sehe, dein Schwerpunkt. Gleichzeitig scheint die Gesellschaft, insbesondere auf Social Media, tendenziell prüder zu werden. Was bedeutet das für deine Fotografie, bei der Suche nach Models und den Publikations- oder Ausstellungsmöglichkeiten?
Andreas Reh: Die gesellschaftliche Entwicklung ist für meine Arbeit schlicht eine Katastrophe, die Suche nach Modellen, gerade, wenn man wie ich nach echten Menschen sucht, ist extrem schwierig geworden. Bilder können oft nur zensiert oder gar nicht gezeigt werden, Galerien und Verlage haben kaum Interesse an einer Zusammenarbeit, als Ambassador ist man uninteressant und sehr viele Menschen erreiche ich erst gar nicht, weil man mit dem Fotografen, der nur Akt macht, nichts zu tun haben möchte. Das ist zynisch, heuchlerisch und dumm, wenn ich als Fotograf ein Model im Dessous auf dem Bett räkelnd in Szene setze ist das akzeptierter in der Gesellschaft, aber in meinen Augen deutlich sexualisierter. Selbst die Mehrzahl der Fashionportraits ist sexualisierter, als meine Akte. Aber unterstützt von religiösen und kulturellen Strömungen hat die gesellschaftliche Prohibition den Akt als Übel auserkoren. Damit wird eine Jahrtausende alte Kunstform auf den Scheiterhaufen geworfen und das mit einer in den letzten 15 Jahren beängstigend zunehmenden Geschwindigkeit. Wir sind gerade dabei dafür zu sorgen, dass sich eine ganze Generation junger Menschen seiner Körper schämt… so etwas regt mich richtig auf.
Thomas Berlin: Angenommen, eine digitale Bildbearbeitung könnte den Wetplateeffekt über eine unkomplizierte Softwarelösung imitieren. Würdest du das nutzen oder an deiner handwerklichen analogen Vorgehensweise festhalten?
Andreas Reh: Es gibt diese Möglichkeit per App oder Photoshopfilter schon lange, neuerdings sogar per künstlicher Intelligenz. Aber der Punkt ist, ich mache keine Wetplates wegen des Looks, auch wenn zugegebenermaßen, darin die Anfangsfaszination für mich lag. Der Prozess der Bildentstehung ist das Entscheidende, den Wert, den das Bild für die Mitwirkenden dadurch erhält.
Thomas Berlin: Dann schließen wir damit das Thema Wetplate ab und gehen zu unserem zweiten Interviewthema. Wir haben uns gerade die Bilder deines Projekts „Personality“ als hochwertige Prints angesehen. Kannst du bitte beschreiben, worum es dabei geht?
Andreas Reh: Es ist ein Herzensprojekt. Personality steht für sehr persönliche, künstlerische und ungeschminkte Aktporträts in anspruchsvoller Form zu einem Buch zusammengeführt. Das Hauptaugenmerk liegt auf der Persönlichkeit der porträtierten Person. Ein von der Person selbst niedergeschriebener Gedanke/ Text soll dabei unterstützend helfen, eine Brücke zu bauen, von der visuellen Wahrnehmung des Betrachters zur Gedankenwelt der porträtierten Person.
Thomas Berlin: Mir fiel auf, dass die Personen auf deinen Bildern eine Intensität oder Persönlichkeit ausstrahlen und mir sofort interpretierende Gedanken zu dieser Person einfielen. Wie erreichst du es, dass das Bild soviel Ausdruck erreicht?
Andreas Reh: Ich lasse persönliche Individualität zu, ich setzte sie sogar voraus. Keine aufgesetzte Pose, keine Hand am Gesicht, keine Fashion-Verrenkungen und ich-halte-etwas-verdeckt Posen. Das funktioniert nicht immer, das braucht Zeit um sich während eines Shootings zu entwickeln. Und der Mensch vor der Kamera muss dafür offen sein, muss es zulassen, sich so zu zeigen, wie er normalerweise nur in unbeobachteten Momenten ist. Man ist in dem Moment angreifbar und verletzlich, aber man ist in dem Moment auch einzigartig, ein Individuum mit Persönlichkeit. Und der Mensch vor der Kamera muss bereit sein, die Bildauswahl zu 100% mir zu überlassen. Daran scheitern oft genau die vermeintlich starken Charaktere und das ganze Shooting war dann leider umsonst.
Thomas Berlin: Wie kommst du für „Personality“ zu der Modelauswahl? Und warum sind es ausschließlich Frauen in einem ähnlichen Alter?
Andreas Reh: Grundsätzlich sind es mehrheitlich Menschen, die noch nie vor der Kamera standen Ursprünglich hatten wir auch Männer mit im Projekt Nach einigen Porträtsitzungen spürte ich jedoch, dass mir die Ästhetik und Weichheit in den Aktporträts fehlte, hinzu kam die banale Tatsache, dass das männliche Genital ohne gezielt verdeckte Posen immer irgendwie im Bild herumhängt. Das würde eine Veröffentlichung weiter erschweren. Zum Alter: Die körperliche und geistige Entwicklung zum Erwachsenen ist zwischen dem 18. und 26. Lebensjahr weitgehend abgeschlossen, jedoch fehlen in diesem Alter noch die Alterspuren des Lebens. Es ist einfach, ein charaktervolles Portrait von einem alten faltigen Gesicht zu machen oder eine hübsche junge makellose Frau schön aussehen zu lassen. Ich will aber zeigen, dass auch junge Menschen schon eine Persönlichkeit haben und dass man diese auch sieht, wenn man genau hinschaut. Ich habe in den letzten Jahren im Rahmen dieses Projektes die stärksten Charaktere überhaupt kennengelernt.
Thomas Berlin: Dass die Menschen vor deiner Kamera unbekleidet sind, gehört zum Konzept oder eher zu deinen persönlichen Vorlieben?
Andreas Reh: Es würde niemand ein von Christo verhülltes Gebäude fotografieren, wenn er am Gebäude interessiert ist. Den wahren Menschen erkennt man meiner Meinung nach nur ohne Definition durch Kleidung, Schmuck, Makeup und Haare. Die Haare zu verbannen ist nicht immer realistisch, jedoch können wir alle anderen Elemente der individuellen Maskierung weglassen um jede Ablenkung von der Person an sich zu vermeiden, den Blick auf die eigentliche Person nicht zu verhüllen. Das erhöht den Schwierigkeitsgrad bei der Aufnahme, es ist nichts da, hinter dem sich das Model verstecken kann, es kann sich nirgends festhalten. Das macht aber, nach anfänglicher Unsicherheit, mit jedem etwas. Es befreit und hilft dabei, sich komplett zu öffnen. Ich wusste Anfangs selbst nicht, dass so etwas passieren wird, habe es aber in zahlreichen Aftershoot-Gesprächen so bestätigt bekommen.
Thomas Berlin: Wie reagieren die Models, wenn du ihre Persönlichkeit suchst, keine Schminke brauchst und auch keine Modelposen möchtest? Ich könnte mir vorstellen, dass es für manche Menschen schwerer ist, etwas von ihrer Persönlichkeit zu zeigen als in eine typische Modelrolle zu schlüpfen.
Andreas Reh: Erst einmal ungläubig, vielleicht auch mit dem Hintergedanken, das kann ja nichts werden. Aber es lassen sich viele doch darauf ein und einige sind für diese Erfahrung auch sehr dankbar.
Thomas Berlin: Du arbeitest seit 10 Jahren an diesem Projekt und hast bisher knapp 60 Bilder final ausgewählt. Brauchst du soviel Zeit weil es nicht so einfach ist, geeignete Models für genau dieses Projekt zu finden oder sortierst du viele Shooting-Ergebnisse wieder aus?
Andreas Reh: Beides, es ist heutzutage für mich extrem schwer, überhaupt noch jemanden dafür zu finden, obwohl ich Geld dafür in die Hand nehme. Ich liefere halt keine Bilder für den Instagram-Feed. Leider schaffen es viele gemachten Bilder dann auch nicht ins Projekt, weil ich ich es während der 1-2 Stunden nicht geschafft habe, zu der Person vorzudringen. Weil das Model es nicht geschafft hat, sich zu öffnen, oder es an der Bildauswahl scheitert, die es nicht aus der Hand geben möchte. Zurück bleibt bestenfalls ein nettes Aktportrait ohne Aussagekraft für das Projekt. Das macht mich oft traurig.
Thomas Berlin: Beim Projekt „Personality“ arbeitest du digital. Warum eigentlich?
Andreas Reh: Weil der Öffnungsprozess während des Fotografierens entsteht, irgendwann nach 20min bis einer Stunde, währenddessen machen wir Bilder. Jede Unterbrechung durch Filmwechsel würde da den Flow stören. Ein bewusst eingelegte Pause kann dagegen manchmal auch der ersehnte Türöffner sein.
Thomas Berlin: Wie ist dein Licht-Setup und welchen Stellenwert hat die Lichtsetzung für dich?
Andreas Reh: Das Dauerlichtsetup vor grauem Hintergrund ist bei dieser Serie immer ähnlich, Striplights von hinten links und rechts, ein Spot auf den Hintergrund, ein diffuses Hauptlicht in Form einer 120er Octobox von vorne rechts/oben und etwas diffuses Tageslicht von vorne. Die Serie wird dadurch, neben der durchgehend verwendeten 50mm Brennweite bei Offenblende, stilistisch homogener.
Thomas Berlin: Wann wird „Personality“ fertiggestellt sein und wie wird es veröffentlicht?
Andreas Reh: Es ist fertig, wenn ich dass Gefühl habe, komplett zu sein. Momentan spüre ich, dass ich immer besser werde im Umgang mit den Menschen, das führt zu mehr, wirklich relevanten Bildern. Es wäre dumm, gerade jetzt aufzuhören. Zeit und Menge ist für mich irrelevant, Qualität ist das einzig entscheidende Kriterium. Das Buch wird in der Grösse um 30x40 cm Hochformat veröffentlicht werden.
Thomas Berlin: Gibt es eine Erfahrung aus einem Shooting, die dir besonders im Gedächtnis geblieben ist?
Andreas Reh: Ich bin unendlich dankbar für alle Erfahrungen, die ich während der letzten Jahre damit machte, beeindruckt bin ich aber vor allem von den junge Studentinnen aus dem Ausland, die mich mit ihrem Mut, ihrer Intelligenz und ihrer Individualität tatsächlich ehrfürchtig machten. Das gibt mir etwas Hoffnung auf die Zukunft. Wenn es mir nach ginge, müsste man allen Männern die Macht und die Waffen wegnehmen, nur dann könnte das vielleicht noch etwas werden mit dem Überleben unserer Spezies. So wie das momentan läuft, wird das nichts
Thomas Berlin: Was ist dein grundsätzlicher Rat an Fotografen, die intensive Porträts mit oder ohne Kleider machen möchten?
Andreas Reh: Vergesst die Posen, verzichtet auf alles, was von der Person ablenkt, macht die Blende maximal auf, legt den Fokus auf die Augen und fangt vor allem an, selber mit offen Augen durch die Welt zu gehen. Es ist die vordergründige laute Schönheit die leider alles überstrahlt, aber es sind die leisen Töne, die die Musik machen.
Thomas Berlin: Andreas, nach so vielen spannenden Informationen über zwei Aspekte deiner Fotografie wäre es noch interessant, wenn du etwas zu dir als Person sagen könntest.
Andreas Reh: Ich bin 1965 geboren, in Deutschland, in der Nähe von Giessen zu Hause, bin mit einer sehr verständnisvollen lieben Frau glücklich verheiratet, habe einen grossartigen Sohn und einen interessante Arbeitsstelle an der Universität
Thomas Berlin: Was machst du wenn du in deiner Freizeit nicht gerade fotografierst?
Andreas Reh: Ich fahre leidenschaftlich Mountainbike, beschäftige mich mit 3D Design und virtueller Realität am Computer und bin leidenschaftlicher Handwerker in allen Gewerken.
Thomas Berlin: Vielen Dank für diese spannenden Einblicke.
Andreas ist zu finden über seine Website und auf Instagram.
Alle Bilder: © Andreas Reh / Do not copy! Feedback ist hier willkommen.