"Guck dir deine Bilder an und du weißt, wer du bist." - Vincent Peters im Gespräch mit Thomas Berlin
Thomas Berlin: Vincent, schön, dass wir die Gelegenheit für dieses Interview haben. Lass uns ganz grundsätzlich beginnen: Kommunizieren mit Bildern. Geht das?
Vincent Peters: Ja, ein Bild kann Kommunikation, kann anregen oder anregend sein. Aber es kann natürlich nie etwas Direktes vermitteln. Das ist ja auch das Interessante dabei. Wir Fotografen sind oft sehr glücklich über unsere eigenen Fähigkeiten, die wollen wir ja auch immer ausleben. Wenn du z.B. eine sehr gefestigte Meinung hast und argumentationsstark bist, dann hat sie immer noch keinen Effekt auf den Anderen, wenn sie ihn nicht einbezieht. So ist es auch mit Bildern.
Das heißt, selbst wenn ein Bild an sich technisch sehr hochwertig ist, ist es ein relativ misslungener Akt von Kommunikation, wenn der Andere es nicht aufgreifen kann. Das heißt, der Fotograf ist immer nur die Hälfte des Bildes. Die andere Hälfte des Bildes muss sich im Betrachter verwirklichen. Und wenn es das nicht tut, muss man sich als Fotograf selbst auch ein bisschen infrage stellen. Denn dann ist das Bild irgendwie missglückt. Das heißt, man muss in der Kommunikation oder als Fotograf lernen, dass seine Meinung offen sein muss und dass man sie auch manchmal zurücknehmen muss. Und wenn das Bild in sich zu perfekt ist und zu abgeschlossen, dann schließt es in einem gewissen Sinn den Betrachter aus.
Und das ist eine Sache, die ich auch bei der digitalen Fotografie sehe. Ich war kürzlich in New Yorker Museum of Modern Art. Die haben eine Permanent Collection alter Fotografien. Technisch können diese Bilder mit modernen Fotos gar nicht mitkommen. Aber sie leben sehr viel mehr das, was ein Bild zum Leben erweckt. Das finde ich interessant, weil du im Vorgespräch sagtest, dass meine Bilderwelt auch ein bisschen was von Filmen hat. Ich versuche eben wirklich nur Filme im Kopf des anderen anzuregen.
Thomas Berlin: Und jeder sieht dann möglicherweise seinen eigenen Film.
Vincent Peters: Das auf jeden Fall. Sophia Loren hat mal gesagt „Die beste Waffe der Frau ist die Vorstellung des Mannes“. Es ist eben nicht das, was du siehst, sondern das, was der Betrachter sich darüber hinaus irgendwie vorstellt.
Thomas Berlin: Wenn du alles zeigst, nimmst du dem Betrachter ja auch die Möglichkeit, sich noch etwas vorzustellen. Ist es das, was du meinst?
Vincent Peters: Genau. Man muss sagen: Das Bild selbst ist nur die Spitze des Eisberges, nicht der wirkliche Eisberg. Das Wirkliche, was stattfindet, ist unter Wasser. Das ist eben auch das, was außerhalb des Rahmens stattfindet. Und das, finde ich, muss man sehr viel mehr mit einbeziehen. Bei den guten Fotografen, nehmen wir mal Helmut Newton, sind das auch etwas dunkle, sehr offene, ambivalente Anregungen.
Thomas Berlin: Du hast die technische Qualität alter und moderner Fotografien angesprochen ...
Vincent Peters: Wir Fotografen können heute technisch unglaubliche Sachen machen. Ansel Adams musste früher wochenlang ins Labor, und wir können wahrscheinlich technisch alles besser machen, aber es schwingt nichts mit, dass ist die Sache. Die Sache ist technisch perfekt, aber sie lässt den Betrachter irgendwie auch kalt. Sie bleibt indifferent.
Thomas Berlin: Dein Ansel Adams-Beispiel bringt mich zu der Frage, ob es eigentlich nur auf das Ergebnis oder auch auf die damit verbundene Story ankommt?
Vincent Peters: Du kannst dich nicht auf das Sichtbare oder auf die Spitze des Eisbergs verlassen. Das Resultat ist ja ganz am Ende. Ganz, ganz am Ende ist das Bild, und wir Fotografen konzentrieren uns immer auf das, was ganz am Ende steht. Das finale Resultat, das ist für uns so wahnsinnig wichtig. Aber die Frage ist doch: Was ist unter Wasser? Man muss eben sozusagen den Fluss nach oben verfolgen. Du musst immer gegen die Strömung ganz nach oben zur Quelle. Wo kommt das Bild her? Was hat der Mensch? Was ist die Geschichte von ihm und wie ist er dazu gekommen, diese Bilder zu machen?
Wenn du das nicht kannst, dann kannst du auch nur ein technisches Resultat erzeugen, sagen wir mal, kopieren oder nachahmen. Das ist immer sehr langweilig. Du hast es ja irgendwo schon gesehen. Dir fehlt ja auch der ganze Weg dahin.
In der Modefotografie haben wir heute diese Kultur, wo man irgendwie auch noch Tintoretto oder irgendwas kopiert und dann irgendwelche Lichteffekte nachmacht. Aber es kommt ja nicht von mir selber. So ein Bild reflektiert nicht eine Biografie, es bleibt beim Betrachter nichts hängen. Du lässt ihn draußen, du kannst ihn höchstens mit dem Resultat überwältigen. Er ist vielleicht beeindruckt, aber er findet keinen Zugang und deswegen findet überhaupt keine Kommunikation statt. Deswegen müssen Fotografen, die sich heute immer mehr auf die Technik fokussieren, da sehr vorsichtig sein.
Thomas Berlin: Wir sprachen schon darüber, dass die Fotografie auch etwas über den Fotografen aussagt, weil es eben auch darum geht, warum er fotografiert, was er fotografiert. Wenn wir das jetzt auf dich beziehen: Warum fotografierst du Menschen und nicht Architektur oder Landschaften?
Vincent Peters: Weil ich ein eher attraktives Bild von der Welt habe. Diese Weltbeziehung drückt sich über meine Bilder aus.
Thomas Berlin: Kannst du das etwas näher erläutern?
Vincent Peters: Der Unterschied ist: Fühlst du dich zu der Welt hingezogen oder von der Welt abgestoßen? Mein Ansatz war, sich über die Fotografie selbst zu erkennen. So wie du über deine Umwelt anfängst, dich selbst zu definieren. Aber über deine Fotografie nimmst du dich selbst wahr: Guck dir deine Bilder an und du weißt, wer du bist. Du findest einfach über dich sehr viel heraus.
Und eine Grundansatzfrage ist: Hast du eine attraktive oder eine repulsive Sicht? Das ist sozusagen einer der Grundstoffe, die dich mit der Welt verbinden. Hast du Angst oder hast du Neugierde? Und darüber hinaus merkst du das auch irgendwie in deinen Fotografien. Wie wählst du dein Motiv aus? Fotografierst du es eher auf eine Art, dass man da draußen bleibt oder gehst du da hinein und sagst: "Ich will mehr von der Welt erfahren"?
Thomas Berlin: Dass du Menschen fotografierst, bedeutet, dass du der Welt zugewandt bist? Und der Mensch, der verlassene Areale im Sinne der New Topographics fotografiert, ist demzufolge ein ganz anderer Typ Mensch? Kann das so einfach sein?
Vincent Peters: Nein, es kommt eben auch darauf an wie er fotografiert.
Thomas Berlin: Wie bereitest du dich auf deine Shootings vor? Ich kenne Fotografen, die Moodboards auf Pinterest erstellen und daraus eine Idee entwickeln, wie das eigene Shooting aussehen sollte.
Vincent Peters: Es gibt eine Tendenz, sich irgendwie was zusammen zu klauben. Aber das sieht ja nie so aus, wie diese Bilder von diesen Menschen in der 60stel Sekunde eines besonderen Moments. Und vor allen Dingen nicht in der Reflektion. Ein Bild ist ja nur ein Porträt des Menschen der es gemacht hat. Das ist kein Porträt des Augenblicks. Was Pinterest macht, betrifft immer nur die Spitze des Eisbergs. Du lässt den Fotografen und alles, was ihn dazu geführt hat, dieses Bild in dem Moment so zu sehen, heraus. Du reduzierst alles auf ein Resultat, von dem du denkst, du könntest es von ihm abkoppeln. Warum hat dieser Mensch in dem Moment das so empfunden? Er hat das ja irgendwie so gesucht.
Das Bild ist ein Zugang zu der Geschichte der Person. Wenn du dich aber immer nur noch auf das letzte Resultat verlässt, dann hast du natürlich alles von dem Bild abgeschnitten, was es im Endeffekt ausmacht: Das ist nämlich die Geschichte der Person, die dieses Bild erlebt hat. Diese Vorgehensweise ist ein völlig merkwürdiger Prozess. In gewisser Form ist es reine Pornografie, weil du den Effekt völlig von den Menschen abkoppelst, die du darstellst. Dich interessiert ja gar nicht die Frau oder der Mann auf dem Bild wenn du dir Pornografie anguckst, es geht ja nur noch um den Effekt. Die ganze Geschichte dahinter hat sich verflüchtigt. Deswegen ist Pinterest sozusagen Kunstporno.
Thomas Berlin: Einen Menschen ohne offensichtlichen emotionalen Bezug hatte z.B. Taryn Simon in der Kunstfotografie mit ihrem Bild Avatar geschaffen. Sie hat einen Politiker dargestellt, den sie aus vielen Einzelteilen verschiedenster Bilder zusammengesetzt hat, einen Menschen ohne Eigenschaften. Wie siehst du derartige künstliche Bildkonstruktionen?
Vincent Peters: Taryn Simon hat einen sehr cleveren konzeptionellen Ansatz. Auch andere Bilder, die sie gemacht hat, finde ich hochinteressant und das macht sie auch sehr gut. Es ist heute, wenn du in die Kunstfotografie gehst, zunehmend grotesk. Es darf ja nicht mehr schön sein. Wenn du dennoch in dieser klassische Fotografie bist, dann gilt es nur noch als schön und dekorativ. Wir Fotografen ticken eben so, dass wir Eindruck machen müssen, pausenlos provozieren und irgendwie das groteske Bild machen müssen. Das andere Extrem ist dann wieder der kitschige vierhundertste Sonnenuntergang in Norwegen. Gute Fotografie muss da irgendwie einen Kompromiss finden.
Denn die Idee der Fotografie war ja auch, dass man die Welt auf eine gewisse Art entdeckt, dass sie einfach etwas sagt. Denn es geht immer um Kommunikation. Bei Taryn Simon ist es eben wahnsinnig intellektuell, aber schwinge ich emotional mit? Berührt mich das Bild? Oder berührt mich das Bild nur, wenn ich vorher vier Seiten darüber gelesen habe? Und erst dann sage ich: Da hab ich diesen Aha-Effekt. Aber ich finde es auch wichtig, dass mich ein Bild emotional mitnimmt.
Thomas Berlin: Das geht bei ihr zumindest nicht auf den ersten Blick. Bei ihrem Projekt mit den Menschen, die unschuldig zum Tode verurteilt wurden, sind die Portraits erst berührend, wenn man, wie du sagst, vorher das Konzept gelesen und verstanden hat.
Vincent Peters: Ja, wenn du sagst, die arbeiten irgendwo bei Edeka in der Frankfurter Straße, dann interessiert dich das Bild nicht. Die Aussage ist eine Funktion des Zwecks. Und dieser Zweck ist ja bei Fotografien auch sehr wandelbar. Deswegen ist eben auch die Aussage wandelbar, wenn du den Zweck bei ihr nicht weißt oder denkst. Wenn du aber weißt, das sind zum Tode Verurteilte in Bangladesch, dann ist es interessant, ansonsten aber nicht.
Thomas Berlin: Das Bild selbst hat in diesem Falle keine eigene emotionale Botschaft, weil es dich rein visuell nicht berührt?
Vincent Peters: Genau, ich finde Taryn Simon ist so ein bisschen das Opfer moderner Fotokunst geworden. Die Emotionalität des Bildes wurde sozusagen entkernt. Das nimmt mich nicht mit. Ich lasse mich nämlich gerne von Bildern berühren. Das suche ich auch. Ich will Resonanz, ich suche Resonanz. Das ist natürlich auch ein Thema im Allgemeinen. Warum darf Kunst nicht mehr emotional sein? Und wenn, dann muss die Emotionalität im heutigen Kunstmarkt repulsiv sein, muss ablehnend sein, schockierend und irgendwie auch ein bisschen eklig. Kunst darf heute nicht attraktiv sein, sonst wird sie als Dekoration verdammt. Ich leide insofern unter meinen Bildern. Wenn man im Kunstmarkt nicht geschunden werden möchte, muss man grotesk sein. Wenn du die attraktiven Gefühle ansprichst, dann fühlen sich die Leute nicht ernst genommen.
Thomas Berlin: Das bededeutet, du musst als Künstler tatsächlich mutig sein, Schönheit und positive Gefühle zu zeigen, die deiner Grundeinstellung zur Welt entsprechen?
Vincent Peters: Ja. Also ich glaube, Edward Weston hätte es heute sehr schwer im Kunstmarkt. Er hat z.B. eine Paprika fotografiert oder ein Salatblatt. Wunderschöne Bilder in einer sehr attraktiven ästhetischen Weltsicht. Er findet die Welt schön, er findet die Welt interessant. Er mag die Welt.
Es gibt zwei grundsätzliche Ideen, wie du an Fotografie oder an Dinge herangehst. Das eine ist, du kannst sie bestätigen in dem, was sie sind. Oder du kannst sie unglaublich infrage stellen. Natürlich ist die Frage in der Kunst wichtig. Sich aber nur auf die dunkle Seite zu fokussieren, wäre als würde man in Geschichten über Menschen immer nur die Mörder, die Bestien, die Schlachter finden. Als die vermeintlich wahre Seite des Menschen. Es ist das Dunkle, was uns Angst macht. Tatsächlich hat sich die Kunst auf das reduziert, was uns Angst macht oder uns irgendwie verstört. Das finde ich teilweise sehr inflationär. Hacke einem Schwein den Kopf ab und die Leute sagen, das ist Kunst. Fotografiere einen Hollywoodstar, dann ist es natürlich nur dekorativ.
Thomas Berlin: Kommt Kunst von Können?
Vincent Peters: Es gibt einerseits Oberflächlichkeit und andererseits Tiefe. Natürlich ist es wichtig, Dinge zu hinterfragen und dass ich Sachen nicht nur dekorativ, sozusagen an der Oberfläche, auslebe. Oder auch nicht mit dem Trick von Andy Warhol: Du nimmst die Oberflächlichkeit und multiplizierst sie auf eine Art, dass man sich gar nichts anderes mehr vorstellen kann. Ich bin natürlich Teil auch von dieser Oberfläche. Auf eine gewisse Art bin ich von Harmonie sehr fasziniert. Das finde ich alles raus über Fotografie. Ich sehe bei der Fotografie auch, wie du sagtest, diese Filmidee. Die habe ich ja irgendwo in mir.
Im Buch „Der Nachtzug nach Lissabon“ (Anm.: von Pascal Mercier) wird sinngemäß zitiert: "In der Kolonie, die ich mein Selbst nenne, treffe ich immer wieder Menschen, die ich nie vorher gekannt habe". Das heißt ja schon ein bisschen. Ich trage viele Menschen in mir, von denen mir die meisten unbekannt sind, die aber ein Teil von mir sind. Und über die Fotografie treffe ich diese Menschen, treffe sie auch über andere Menschen. Wenn wir jemand treffen, dann lernen wir auch teilweise, so dass wir uns verändern. Irgendwie bin ich mit diesem Menschen anders als mit anderen. Das ist aufregend, teilweise macht es auch ängstlich. Aber das Gleiche erreichst du natürlich auch mit Bildern. Dass wir ein Gefühl kennen lernen oder dass wir mit etwas konfrontiert sind, was wir vorher nicht über uns wussten. Das ist immer ein interessanter Prozess.
Thomas Berlin: Du hattest Oberflächlichkeit angesprochen. Ich weiß nicht warum, aber mir fällt gerade Instagram ein. Siehst du durch Instagram eine Bedrohung oder Chance für die Fotografie?
Vincent Peters: Ich sehe in Instagram eine riesige Bedrohung für den Wert der Fotografie. Das ist irgendwie ein pornografischer Tinder-Effekt, mal alles so ein bisschen wegzudrücken. Es wird alles nur noch so auf Sekundenbasis geklickt und konsumiert. Wenn du Fotograf bist, dann hast du dir immer ein bisschen mehr vorgestellt. Ich hab ja das Privileg Bücher zu veröffentlichen, das ist Anti-Instagram.
Thomas Berlin: Du hast aber selbst einen Instagam Account.
Vincent Peters: Ich bin kein Instagram Star, aber ich bin überrascht, wie gut es mit meinem Instagram Account doch läuft, obwohl ich wirklich alles verkehrt mache. Ich zeige weder Fotos von mir noch von meinem Frühstück, noch von meinem Urlaub. Ich habe bei Instagram vielleicht auch ein bisschen als Provokation angefangen und weil ich wollte, dass die Leute meine Bilder sehen. Irgendwie ist es dann so eine offizielle Seite von mir geworden. Hoffentlich gibt es Instagram in zwei Jahren nicht mehr. Denn Instagram bringt die Abgründe der menschlichen Persönlichkeit nach oben: Eitelkeiten, Neid und Missgunst.
Thomas Berlin: Wenn deine Vorgehensweise nun so viel über dich aussagt, interessiert mich u.a., warum du schwarzweiß fotografierst. Das ist ja im wörtlichen Sinn, kein „buntes“ Weltbild und das Grau ist nicht immer nur positiv besetzt.
Vincent Peters: Ich weiß nicht, ob mein Weltbild so positiv ist. Aber es ist sehr sentimental. Ich habe das Gefühl, dass Dinge uns durch die Finger gleiten und dass wir nichts festhalten können. Und ich glaube, das ist auch ein großer Ansatz von Fotografie, den Augenblick festzuhalten. Und schwarzweiß ist erst einmal die Farbe des Lichts. Das ist für mich natürlich sehr wichtig, denn ich erzähle meine Gefühle gerne über das Licht.
Es ist für uns Fotografen sehr interessant, unsere Bilder einmal auf eine ganz andere Art zu sehen. Wie würden meine Bilder sein, wenn sie Musik wären, würde ich sie auf eine gewisse andere Art spielen? Ich finde, schwarzweiß ist essenziell. Es reduziert die Musik, es konzentriert sich mehr auf die Melodie.Wenn du diese Stimmung mit einem Instrument vermitteln möchtest, welches Instrument würdest du wählen?
Sollten wir vielleicht unsere Ideen, unsere Fotografie manches Mal so überdenken? Dann hat man einen ganz anderen Ansatz dazu. Es gibt zum Beispiel Christopher Walkin. Ein wilder Schauspieler aus den 70ern, so eine Art Klaus Kinski aus Amerika. Er hat zum Beispiel gesagt, wenn er ein neues Drehbuch bekommt, dann liest er das Drehbuch in verschiedenen Personen. Er liest es vielleicht als Mann, als Frau. Aber vielleicht liest er es auch als sehr böser oder sehr gutmütiger Mensch oder als Bäcker oder als Ehemann oder Soldat. Wie würde das Drehbuch sich verändern, wenn die Person eine andere wäre?
Thomas Berlin: Also ist schwarzweiß kein Orchester, sondern nur ein einzelnes Instrument?
Vincent Peters: Genau. Wenn du bei deinem Beispiel bleibst, kannst du auch sagen, Farbe wäre ein größeres Orchester. Farbig fotografiere ich auch manchmal, vielleicht mehr in der Werbung. Aber du hast ein lautes Orchester. In schwarzweiss hast du eine ganz bestimmte Melodie und die ist sehr intensiv. Und die bleibt auch manchmal länger hängen. Aber es ist nur ein Piano oder eine Geige oder was anderes. Vielleicht wird meine Fotografie dadurch sentimentaler und es ist mehr das, was ich ausdrücken will.
Thomas Berlin: Beim Beispiel von Christopher Walken mit den verschiedenen Blickwinkeln fallen mir Kurt Tucholskys Kommentare in der Weltbühne ein. Er hatte Kolumnen geschrieben und dabei mehrere Pseudonyme benutzt. Er schrieb als Peter Panter, Theobald Tiger, Ignaz Wrobel und so. Diese Pseudonym-Kommentatoren hatten verschiedene politische Einstellungen und Charakterzüge und er hat manchmal über ein und denselben Sachverhalt aus unterschiedlichen Blickwinkeln geschrieben. Was bewegt man in der Fotografie, wenn man sich quasi von seinem Gedanken lösen und sich neben sich stellen kann?
Vincent Peters: Das ist die gleiche Idee, die man auch als Fotograf machen muss. Wenn ich ein Buch schreiben würde, was wäre mein Bild für ein Roman? Was wäre mein Bild als ein Essen? Wäre es italienisch? Wäre es viel oder wenig, wäre es salzig? Wäre es Nachtisch? Ganz andere Blickwinkel auf seine eigene Arbeit anzuwenden hilft einem einfach, sich dahinter selber viel mehr zu verstehen. Das ist ja das Wichtige, was wir wollen. Wir wollen ja die Sache sagen. Wir sind so damit beschäftigt, unsere Technik zu kultivieren, aber eigentlich müssten wir unseren Blickwinkel kultivieren.
Thomas Berlin: Zu deinem Blickwinkel: Du fotografierst überwiegend Frauen, oder? Ich habe dein Buch “Personal” und sehe darin Frauen, die immer interessant oder hübsch aussehen.
Vincent Peters: Bei diesem Buch habe ich die Männer herausgelassen, aber ein bisschen mit Absicht. Ich hatte eine Ausstellung bei Fotografiska in Schweden und meine Bilder in der Ausstellung zeigten zu fast 50 Prozent Männer. Ich möchte das auch wieder mehr machen. Ich mag mich vielleicht ein bisschen zu sehr auf die Frauen eingeschossen haben. Ich habe es halt leichter mit Frauen, das gebe ich zu.
Thomas Berlin: Dann findest Du Frauen interessanter ...
Vincent Peters: Interessanter nicht. Ich arbeite einerseits lieber mit Männern, weil man sie visuell nicht idealisieren muss. Dieser ästhetische Faktor ist weniger wichtig. Technisch kannst du experimenteller sein. Aber persönlich habe ich es mit Männern schwerer, weil sie sehr viel unsicherer als Frauen sind, die gerne vor der Kamera stehen. Männer fühlen sich oft schnell ein bisschen blöd und möchten bald fertig sein. Die Kommunikation mit Männern auf dem Set ist somit schwieriger.
Thomas Berlin: In Deinem Buch "Personal" werden überwiegend Schauspielerinnen gezeigt. Ist der Grund, dass man mit bekannten Schauspielerinnen besser arbeiten kann oder ist das mehr ein Auftragsthema?
Vincent Peters: Ich hatte einfach das Privileg, die zu bekommen. Aber auch interessante Schauspieler sind ja auch immer nur Mittel zum Zweck. Ich inszeniere diese Menschen. Sie sind ja Projektionsfläche. Sie sind nicht unbedingt sie selbst und du wirst auch gar nicht an sie rankommen. Das wollen sie auch gar nicht. Sie leben dadurch, dass sie eine sehr gute Projektionsfläche darstellen.
Bei Schauspielerinnen ist es ja nun wirklich sehr einfach. Du gibst ihnen einfach eine Rolle in deinem eigenen Drehbuch. Wenn du Glück hast, mögen sie diese Rolle und können sie aufnehmen und weiterentwickeln. Aber das sind nicht sie. Es bleibt eine Rolle. Die Kommunikation zwischen dir und ihnen bleibt die Interpretation der Rolle, und die Rolle kommt natürlich von dir. Diese Rolle wird vom Publikum aufgenommen und von ihnen sozusagen weiter interpretiert. Da sind wir wieder, wo wir ganz am Anfang waren: Die Rolle darf nicht abgeschlossen sein. Je offener die Rolle, desto mehr wird sich der Betrachter in dieser Rolle wiederfinden.
Thomas Berlin: Der Betrachter findet sich in der Rolle wieder durch etwas, was man als Betrachter noch nicht weiß weil man es aus dem Bild nicht direkt erfährt?
Vincent Peters: Ja, es muss etwas zu entdecken bleiben. Und da bist du wieder bei der Kommunikation. Es muss etwas Unfertiges haben. In dieses Unfertige kann sich der andere hineindenken. Und diese Schauspieler haben die Möglichkeit, wenn sie gut sind, siehe zum Beispiel Marilyn Monroe, dass sie eine unglaubliche Projektionsfläche darstellen, wo sich sehr viele Leute darin wiederfinden.
Thomas Berlin: Die Models auf deinen Bildern wirken entweder entspannt oder als wäre da gar kein Fotograf dabei. Das kann einerseits daran liegen, dass Schauspieler das Rollenspiel beherrschen, ohne befangen zu sein. Inwieweit liegt das auch an der Atmosphäre, die du im Shooting schaffst?
Vincent Peters: Das ist natürlich auch etwas, was ich suche. Ich suche eben auch eine gewisse Menschlichkeit oder dass man die Distanz reduziert. Andere Fotografen suchen etwas anderes, Helmut Newton hat ja zum Beispiel eine sehr forcierte Pose. Die ist auch interessant. Es zwingt die Leute in eine sehr große Unnatürlichkeit, ebenso Steven Klein und Mario Testino.
Thomas Berlin: Mit Unnatürlichkeit meinst du, diese Fotografen sagen dem Model ganz genau, was es zu tun hat?
Vincent Peters: Ja, in dieser Form drücken sie das Künstliche aus. Das ist ein bisschen wie Special Effect Filme, eine andere Herangehensweise als ich sie habe. Bei Helmut Newton geht es ja auch nicht um Natürlichkeit. Das ist genau das, was mir ja nicht passt.
Thomas Berlin: Deine Bilder nennt man oft zeitlos. Es gibt keine zeitgenössischen Accessoires und sie sind ein Stück weit klassisch. Aber ich finde sie nicht wirklich zeitlos im Sinne der Zeitrechnung, sondern würde viele Bilder in die 60er und 70er Jahre einordnen. Ist das ein Zeitraum, der dich besonders interessiert?
Vincent Peters: Ich würde sagen, das ist die zeitlose Zeit. Nimm z.B. ein Auto aus den 50er Jahren. Wenn das ein richtiges 50er Jahre Auto mit Heckflossen ist, dann bist du gedanklich sofort in den 50ern. Wenn du ein Auto nimmst, das sehr modern ist, bist du sehr im Heute. Aber wenn du einen Dodge oder Chrysler von 1965 nimmst, dann ist das ein bisschen so ein Matchbox-Auto und vor allen Dingen aus der Zeit, in der ich aufgewachsen bin. Das waren die Autos, die Kinder zu Hause hatten. Das war einfach nur ein Gebrauchsobjekt, der ästhetische Standard. Insofern vielleicht nostalgisch, aber auch neutral. Wenn du über eine gewisse Zeit hinaus zurück gehst, wird es einfach zu spezifisch, denn dann wird es ein Oldtimer. Ich versuche meine Bilder so zu gestalten, dass sie in der Zeit nicht zuzuordnen sind. Zeitlos ist ein anderes Wort. Aber es geht ums Bild. Es geht mir nicht darum, einen gewissen Trend in einer gewissen Zeit nachzustellen. Es geht ja auch nicht darum, eine gewisse Zeit zu reflektieren.
Thomas Berlin: Nun ist die Entstehungsgeschichte und Motivation der Aufnahme natürlich ein wichtiger Aspekt, wie du vorhin schon dargestellt hattest. Aber wann ist ein Bild für dich gut oder wann bist du damit zufrieden? Und, um die Frage zu erweitern, was wäre der beste Ort für ein Bild von dir: Eine Onlineausgabe, ein Printmagazin, eine Sammlermappe oder gehört es an die Wand?
Vincent Peters: Ich habe schon den Anspruch, dass meine Arbeit, mein Bild, an einer Wand leben kann und dass es auch außerhalb des Kontextes lebt.
Zufrieden bin ich mit meinen Bildern ganz selten. Alle, die sehr auf Resultate reduziert werden, wie auch die Models, die ich fotografiere, schwanken zwischen einer völligen Selbstüberschätzung und unglaublichen Unsicherheiten. Das tue ich auch mit meinen Bildern. Teilweise finde ich mich unheimlich gut. Teilweise finde ich, bin ich der schlechteste Fotograf, der jemals irgendein Bild geschossen hat.
Thomas Berlin: Das würde ich dir jetzt nicht abnehmen
Vincent Peters: Na ja, das glaube ich auch nicht wirklich. Ich bin der Schlechteste von den Guten. Ich fotografiere ja auf Film. Bis ich die Bilder gesehen habe, dauert es immer zwei, drei Tage. Teilweise dauert es eine Woche. Am Abend denke ich, ich habe das Ding versemmelt, ich kriege es einfach nicht mehr hin und ich bin nicht mehr so gut wie früher. Diese Gedanken werden immer schlimmer, bis ich dann endlich die Kontaktbögen sehe. Das ist schon ein sehr intensiver Prozess.
Thomas Berlin: Es zeigt, dass dir deine Fotografie oder dein Kunde nicht egal sind. Warum diese Demut, obwohl du so viele großartige Bilder geschaffen hast?
Vincent Peters: Das ist eben kein rationeller Prozess. Aber diese Idee von Depression und Selbstzerstörung? Ich weiß nicht, wo das herkommt. Aber wie gesagt, das sind alles Sachen, die man in diesem Prozess über sich selber erfährt.
Thomas Berlin: Du machst im Shooting mit analoger Arbeitsweise relativ wenige Bilder im Vergleich zu digitalen Fotografen. Das Gegenteil wäre die Methode Lindberg: Sehr viele Bilder machen und dann davon ausgehen, dass aus der Unmenge an Bildern einige sehr gute dabei sein werden. Wie siehst du diese Methode?
Vincent Peters: Ich glaube, es hat schon viel mit analog zu tun. Aber ich weiß nicht, ob das Zufallsprinzip wirklich für mich funktioniert. Ich denke manchmal: "Lass es laufen, schieß mehr Film", doch analog funktioniert es nicht wirklich so. Aber ich bewundere Fotografen, die diese Leichtigkeit hinbekommen. Wie Bruce Webber zum Beispiel. Er hat ja Mülltüten voll mit Filmen geschossen. Und irgendwo ist halt der gute Schuss dabei. Ich finde, dass das wahnsinnige Talent von Bruce Webber eben auch in dieser Leichtigkeit einher geht. Seine Models sehen aus, als hätten sie den ganzen Tag nur im Garten rumgealbert oder auf dem Sofa erst einmal Whisky getrunken und dabei Kaffee und Torte genossen. Die sehen nie aus, als hätten sie gearbeitet oder Fotos gemacht.
Thomas Berlin: Bringt seine fotografische Dauerfeuer-Fotografie eine Gewöhnung mit sich, dass man fotografiert zu werden gar nicht mehr als irgendetwas Auffälliges empfindet?
Vincent Peters: Ich weiß nicht genau, wie er arbeitet, aber ich habe gehört, er inszeniert verschiedene Szenen, die auch stattfinden. Und er geht dazwischen rum und schießt hier und da. Das Bild selber muss natürlich irgendwie aus dem Augenblick kommen. Diese Augenblicke laufen einfach so ab.
Vielleicht ist es bei mir so, dass ich irgendwie doch zu sehr Kontrolle über das Bild habe. Ich würde es gern mehr laufen lassen. Da würde ich gerne daran arbeiten, mehr Bilder zu schießen. Mutiger zu sein ist sicher ein Ansatz für mich. Aber das ist, wie gesagt, in diesem Analog-Prozess gar nicht so einfach. Die Budgets sind heute ganz anders als früher. Filme entwickeln und scannen ist ein teurer Prozess.
Thomas Berlin: Und der Auftraggeber braucht etwas Geduld wegen der Laborzeit, es sei denn, es sind freie Arbeiten. Ich möchte kurz zur Technik kommen: Du hast gesagt, dass du mit der Mamiya RZ 67 fotografierst. Das determiniert ja dein Format bzw. die Aspect Ratio deiner Bilder, sofern du nicht croppst. War das eine bewusste künstlerische Entscheidung oder wie kam das?
Vincent Peters: Es ist einfach, weil ich diese Kamera habe. Ich habe damals als Assistent gearbeitet, als ich 16 war. Und der Fotograf hatte diese Kamera und seitdem nehme ich diese Kamera. Sie ist irgendwie ein Teil meiner DNA geworden. Das ist wie drauf tätowiert, das kriege ich auch nicht mehr runter. Fotografieren ist nicht Shopping und meine Kamera hat auch keinen Vornamen. Die Bilder sind wichtig, nicht die Kamera. Und es ist die Kamera, bei der ich am wenigsten über Kamera nachdenken muss. Ich kann sie einfach mit geschlossenen Augen bedienen. Sie ist mir am wenigsten bewusst. Und deswegen nehme ich sie.
Thomas Berlin: Ich habe mal gehört, dass du als Schwarzweißfotograf mit Farbnegativfilm arbeitest und das farbige Negativ in schwarzweiß konvertierst. Bei dieser Methode kann man ja mit den Farbkanälen gestalten. Was ist bei dir der Grund?
Vincent Peters: Das hat sich einfach daraus entwickelt, dass ich meistens die schwarzweiße Version bevorzuge, der Kunde aber eine Farboption haben will. Früher hab ich beides geschossen, aber ich habe eben gemerkt, das es das Bild natürlich nicht zweimal gibt. Du kriegst ja nie das gleiche Bild noch einmal. Und zusätzlich habe ich auch gemerkt, dass die Farbnegative tiefere Grauwerte ermöglichen als Schwarzweißfilm. Das ist filmisch. Die Abstufung ist viel größer, und das Korn ist natürlich trotzdem da. Für mich hat sich das als sehr effiziente Methode herausgestellt. Die Kunden sind einfach sehr beruhigt, und ich habe da absolut keine technischen Kompromisse gemacht.
Thomas Berlin: Welche Bücher und Fotografen haben dich begleitet und inspiriert? Vielleicht sogar geprägt?
Vincent Peters: Ich war noch sehr jung, da habe ich das Buch Time Life Photograhy gehabt. Ich habe es immer wieder durchgeblättert, da war ich zehn oder elf. Es waren diese alten Magnum-Fotografen, z.B. WH Smith mit seinen Bildern über ein spanisches Dorf. Das war so die New Yorker Schule. Ich habe daraus viel gelernt, ohne bewusst an Fotografie zu denken. Dazu gehörten auch die Bilder von David Douglas Duncan, die ersten Vietnam Fotos. Das war so ein "Best of" von Fotografen und da habe ich überhaupt erst mal Zugang zur Fotografie bekommen.
Mitte der achtziger Jahre hat Bruce Weber diese Serie "O Rio de Janeiro" gemacht. Wichtig für mich waren auch noch Brassaï mit seinen Paris-Bildern, natürlich Henri Cartier-Bresson, Robert Capa. Richard Avedon mit "In the American West" hatte einen riesigen Einfluss auf mich. Diese klassische Schwarzweiß-Fotografie der 90er-Jahre habe ich bis heute sehr tief in mir drin. Ich glaube, du hast so ästhetische Standards, die sich relativ früh entwickeln.
Und dann später die frühe Vogue, klar. Als ich 1990 nach New York kam, inspirierten mich die Bilder von Peter Lindberg, Paulo Roversi und Steven Meisel. Das waren damals die Fotos, die die Titel in der italienischen Vogue gemacht haben. Das hat mich auch sehr beeinflusst, als ich ein einfacher Assistent war.
Thomas Berlin: Warum bist du 1990 überhaupt nach New York gegangen?
Vincent Peters: Ich habe einfach gemerkt, in Deutschland wird das nichts mit mir, ich war damals 19. Ich war in der Schule sehr schlecht und auch sonst lief nicht viel mit mir. Da hat meine Mutter gesagt: „Hier hast du 1.000 Mark, mach was draus“. Dann hat sie mir ein Flugticket nach New York gekauft.
Thomas Berlin: Das klingt wie der Beginn einer Traumkarriere in der Neuen Welt, wie aus einem sentimentalen Film.
Vincent Peters: Das ist ja auch schon sehr sentimental. Ich bin in letzter Zeit wieder sehr viel in New York und da fallen mir natürlich diese Bilder auf, die ich mit 19 sah. Ich hatte 10 Dollar pro Tag zur Verfügung, höchstens. Und da waren schon zwei, drei Dollar bloß für irgendein Telefongespräch und für die U-Bahn weg. Zum Essen blieben sieben Dollar pro Tag. Wenn ich heute einen Tag frei habe in New York, gucke mir die alten Zeitschriften an oder gehe in irgendwelche Büchereien. Mein Leben hat sich in den letzten 30 Jahren sehr wenig verändert.
Thomas Berlin: Kommen wir zu deinen eigenen Büchern und das Motiv, diese zu erstellen. Ist die Buchgestaltung u.a. auch die Chance, sich zu zwingen, aus den vielen Bildern einige besonders relevante herauszusuchen und die eigene Arbeit zu reflektieren?
Vincent Peters: Wenn du so ein Buch machst, dann bist du natürlich sehr damit konfrontiert. Das ist schon ein Abschnitt, und dann hast du natürlich auch andere Bücher, die dich fotografisch schon lange begleitet haben. Dann legst du deines daneben und denkst Okay, das habe ich jetzt gemacht. Für mich war das natürlich schon ein wichtiger Schritt, auch mir zu überlegen: Was ist eigentlich wichtig, was lebt in meinen Bildern? Was bleibt von meinen Bildern, die ich gemacht habe? Und das fokussiert einen natürlich auch, denn es ist ein unheimlich starker Selektionsprozess. Aber es gibt auch Bilder, die irgendwie nicht bleiben.
Thomas Berlin: Ist das eine eigene Retrospektive und vielleicht auch eine Schärfung des eigenen Blicks?
Vincent Peters: Ja, es ist schon eine Blickschulung für dich selbst. Wir setzen einfach Marks. Da kann ich mich am besten wiederfinden. Aber das kann natürlich auch eine Besessenheit werden. Jedes Mal, wenn ich Fotos mache, denke ich immer: wäre das ein Bild für mein Buch? Das ist teilweise sehr unklug.
Thomas Berlin: Deine Bilder haben meist das volle Tonwertspektrum und sind selbst in Innenräumen kontrastreich. Wie gehst du mit Licht um?
Vincent Peters: Wir sollten den Raum mit Licht nachvollziehbar machen. Man versucht einfach auch mit Licht, Geschichten und Gefühle zu erzählen und über die Menschen mit dem Licht etwas zu erzählen. Es geht ja nur, wie gesagt, nicht um den Menschen. Es geht für mich darum, bestimmte Gefühle und Stimmungen zu erzeugen, und diese kann ich kommunizieren. Ich glaube schon, dass man eine bestimmte Stimmung bei Leuten provozieren kann und dass sie dadurch einfach ein Interesse am Leben haben.
Thomas Berlin: Du arbeitest sicherlich auch mit künstlichem Licht. Mit Dauerlicht oder mit Blitz?
Vincent Peters: Tageslicht ist natürlich die Basis. Und dann kommt Dauerlicht. Blitz ist viel zu scharf für mich. Ich kann mit Blitzen überhaupt nichts anfangen. Ich glaube sehr viel mehr an Dauerlicht, was mehr dem Tageslicht entspricht und viel mehr Unschärfen und Improvisation zulässt. Du kannst die Leute z.B. aus dem Licht rausziehen. Du setzt Licht auf einen gewissen Punkt. Dann stellt sich das Modell einen halben Meter daneben. Und du selbst drehst dich um und schießt in das Licht rein statt statt mit dem Licht. So ergeben sich viel interessantere Dinge. Auch weil Licht in dem Sinne wie Musik sehr viel Gefühl transportiert. Die Idee des Lichts definiert die Realität des Objektes. Das Objekt selber reflektiert das Licht nur zurück.
Thomas Berlin: Das Licht ist ja in vielen Gemälden der Renaissance ein ganz wichtiges Stilmittel und auch für Fotografen ein interessantes Studienfeld, bei dem auch der Lichteinfall stimmig ist. Damit scheinst du dich auch befasst zu haben.
Vincent Peters: Zum Beispiel mit Caravaggio, der das erste Mal das Licht als Dramaturgie eingesetzt hat. Sehr komisch, dass künstliches Licht ein ganz anderes Gefühl provozieren kann. Dann kann es ein sehr harmonisches Licht machen. Natürlich provoziert es Gefühle und erzählt eine Geschichte. Wahrscheinlich viel mehr als das Model.
Thomas Berlin: Das klingt wie ein Schlusswort. Vincent, das Interview war total spannend und inspirierend. Herzlichen Dank!
Vincent Peters: Ich kann ja nur ein bisschen erzählen, wie ich das selber machen muss. Aber wenn du den Leuten damit etwas vermitteln kannst, freue ich mich.
Die Website von Vincent Peters ist https://vincentpetersstudio.com. Feedback zum Interview gern hier.
All images: © Vincent Peters